7.00 Uhr: Sonntag früh, im Zug nach Prag. Ich hab die Augen zu gemacht, vier Stunden Fahrt vor mir. Genug Zeit, um noch ein wenig zu schlafen. Am Ziel wartet viel Arbeit. Außer mir ist niemand im Abteil.
7.10 Uhr: Dann, ein paar Minuten später, bemerke ich eine Bewegung. Ich mache ein Auge auf. Mir gegenüber sitzt ein Asiate, schätzungsweise 1,50 groß, Mitte zwanzig. Das muss ein Traum sein, denke ich und mach das Augue wieder zu.
7.15 Uhr: „Guten Molgen, dalf ich stölen?“ Ich hör wohl nicht richtig. Der Typ mir gegenüber ist wirklich echt. Was will der von mir? Ein Überfall? Ich schätze kurz meine Chancen ab. Die Tür ist weit, ich sitze am Fenster. Bevor ich auch nur einen Schritt machen kann, hat er mir sicher irgendeinen Karate-Tritt versetzt. Doch er sitzt nur da, grinst mich an und hält mir einen Aktenordner vor das Gesicht. Darin irgendwelche Zeichnungen, scheinbar aus der kirchlichen Geschichte. „Ich äh bin äh Student äh. Kolea. Musse machen Albeit fül Abschluss. Dauelt nicht lang. Äh du katholisch?“ „Nein“, antworte ich. „Nicht katholisch, nicht evangelisch, nicht Moslem, gar nichts.“
7.20 Uhr: „Nicht äh schlimm äh. Können machen mit auch ohne äh katholisch äh. Dauelt nul kulze äh zehn Minuten.“ Gut, dachte ich, zehn Minuten kannst du entbehren. „Also schieß mal los, worum geht es denn?“ „Wassa äh Feier äh. Spiegel. Alle sagen Gott Vata äh abel wo ist Mutta? Alles Spiegel. Unten Vata, unten äh Mutta, unten Sohn, unten äh Tochta. Aba oben ist äh Mutta nicht. Äh Du hast Mutta? (Ich nicke) Du hast Vata? (Ich nicke wieder) Du hast also äh Mutta und äh Vata. Aba wo ist Mutta Himmel? Alle beten. Äh beten zu Gott Sohn und Sohn Vata. Aba Mutta? Ist nicht Spiegel. Aba alles Spiegel sein muss.“
Ich unterbreche ihn kurz, frage: „Worum geht es denn nun? Sag mir endlich worum es geht!“ Er lächelt mich an und sagt: „Wassa Feia“ Worauf ich antworte: „Also wenn Du Wasser und Feuer meinst, dann hab ich keine Ahnung, was Du von mir willst. Auch wenn ich weiß, dass Wasser und Feuer eine gewisse Bedeutung in der Bibel-Geschichte haben.“
7.25 Uhr: „Nein“, sagt er, „Wassa Feia!“ Daraufhin packt er die Bibel aus. Er zeigt auf irgendein Kapitel und sagt wiederholt: „Wassa feia. Du äh Wassa Feia? Du äh getauft?“ „Nein, ich bin nicht getauft.“ „Dann Du Wassa Feia. Kann ich äh machen. Gleich äh Wassa Feia.“
7 .30 Uhr: „Was willst Du hier machen? Ich kann Dir nicht ganz folgen“, frage ich ihn. Er packt die Bibel weg, holt dafür wieder seinen Aktenordner raus. Und fängt noch mal von vorn an: „Wassa Feia. Spiegel. Alles Spiegel. Unten Vata, äh Mutta, Tochta, äh Sohn. Oben Vata, Sohn. Aba nicht Tochta, nicht äh Mutta. Wassa Feia. Äh muss machen äh taufen äh jetzt. Du Wassa Feia.“
7.40 Uhr: Unterdessen sitzt Er neben mir, damit ich besser in seinen Ordner schauen kann. Er zeigt mir die letzte Seite. Dort ist eine Art Zeugniss zu sehen. In jeder Zeile einige Namen und dazugehörige Unterschriften. Am Zeilenanfang jeweils mehrere Kreuze, mal bei A, bei B, bei C, bei D oder bei F. Ich fange an zu verstehen. Ich soll ihm für die Unterhaltung ein Zeugnis ausstellen. Aber da sind wir, wie ich erfahre, noch lange nicht.
7.45 Uhr: „Wassa Feia. Äh siehst Du. Vata, Mutta. Aba Mutta nicht. Du Wassa Feia.“ Langsam reicht´s mir. Ich nehme ihn den Ordner aus der Hand und lese selbst. Da steht es schwarz auf weiß vor mir: Passahfeier. Er meinte also die ganze Zeit die Passahfeier. Nun gut, die sagt mir genauso viel wie Wassa Feia. Aber wenigstens habe ich nun den Wortlaut kapiert.
7.50 Uhr: Er holt aus seiner Tasche Flasche, sieht aus wie Wein. „Du machen jetzt Passahfeier. Du äh Taufe. Du äh Spiegel. Sohn von Mutta. Und äh Vata. Du Passahfeier.“ „Nee, lass mal“, sage ich. Und: „Pass auf: Ich unterschreibe jetzt auf Deinem Ordner, trage ein paar Noten ein und dann hat sich´s gehupt mit der Passahfeier. Einverstanden?“
7.55 Uhr: Er sieht mich etwas entgeistert an, lächelt aber dann doch. „Warum nicht Passahfeier? Du doch äh auch Spiegel.“ Jetzt reicht es mir. Doch ich will ihn nicht beleidigen und auch nicht enttäuschen. Also sage ich: „Gib den Ordner her, ich unterschreibe.“ Da hatte er, wie es mir scheint, nur drauf gelauert. Schwupps liegt das Blatt mit den Zeugnissen auf meinen Knien. Ich unterschreibe, gebe ihm durchweg Note „B“. Denn immerhin hat er es geschafft, mich anstatt der angesagten zehn Minuten eine ganze Stunde vom Schlafen abzuhalten. Er bedankt sich, verabschiedet sich und ist genauso schnell verschwunden, wie er kam.
8.00 Uhr: Ich schaue kurz aus dem Fenster, Elsterwerda, noch drei Stunden bis Prag. Genug Zeit übrig für ein Schläfchen. Gerade habe ich es mir bequem gemacht, da höre ich von nebenan die bekannte Stimme: „Du Wassa Feia? Du katholisch…?“
Ja, ja, echt. Auf der Zugfahrt nach Prag. Noch heut träume ich manchmal von kleinen Koreanern, die mich bekehren wollen.
LikeLike
geil! ist die echt? oder literatur? auf jeden fall grandios
LikeLike