Montags oder „Wenn das dor Orweidsschudsobmann sieht“

Montags war es immer besonders schlimm. Kurz nach fünf schon klingelte der Wecker. 5.26 Uhr fuhr die letzte Bahn, um pünktlich auf Arbeit zu sein. Linie 9, von der Dölauer Heide bis nach Büschdorf. Meine Station war Gimritzer Damm. Der Übergang von Halle zu Neustadt. Kurz vor der Kurve, wo die Tatra-Bahnen laut quietschend in Richtung Halle abbogen. Rechts die Pferderennbahn, links die Peißnitz. Das Centrum Warenhaus. Mit der Kantine, wo es die leckeren Gehacktesbrötchen gab. Und zwischen Oktober und März das dunkle Bockbier. Einen halben Liter für eine Mark zwölf.

Weiter durch die Mansfelder Straße. Hinein ins Grau der Stadt. Wo im Winter der Braunkohle-Rauch bis in die Bahn vordrang. Am Markt vorbei, Große Steinstraße, Ernst-Thälmann-Platz, Delitzscher Straße. Haltestelle Grenzstraße, die letzte vor der Endhaltestelle. Wenn ich Glück hatte, wurde ich wach. Manches mal bin schlafend durchgefahren. Bis Büschdorf und wieder zurück bis in die Stadt.  Dann kam ich zu spät. An die alte Sägemaschine. Wo mit der Uhr in der Hand schon mein Meister stand. „So wird aus dir nie ein gutes Glied in unserem Kollektiv.“ Wollte ich sowieso nie.

Rein in die Waschkaue. In die Arbeitsklamotten. Blaue Latzhose, blaue Jacke, gelber Arbeitsschutzhelm. Uhren und Schmuck ablegen. Aufträge abholen. 200 Winkeleisen sägen. 30er, 280 lang. Versteifungen für Strommasten der Reichsbahn. Winkelprofil einspannen, 280 Millimeter einstellen, sägen. Winkelprofil weiterschieben, bei 280 Millimeter absägen. Winkelprofil einspanne, bei 280 Millimeter, Mist, ist nur noch 240 lang, ab in die Schrottkiste. Nächstes Winkelprofil einspannen…

10 Uhr. Pause. Schnell in die Kantine. Nur die ersten kriegen belegte Brötchen. Der Rest muss Butterbrot kauen. Ich esse wie immer. Eierbrötchen, Bockwurst, Kaffee, Zigarette. Denn mein Frühstück ist Mittag. Es gibt nur diese eine Pause. In der Frühschicht im Drei-Schichtsystem. 6 bis 14, 14 bis 22, 22 bis 6 Uhr, Früh-, Spät- und Nachtschicht. Im wöchentlichen Wechsel. 10.20 Uhr, Pause vorbei. Zurück an die alte Sägemaschine. Die Palette mit den Winkeln steht nicht mehr dort, wo sie vor der Pause noch stand. Dafür steht dort der Abteilungsleiter.

„Mensch Junge, die Baledde gannste doch nich im Weje rumstehn lassen. Wenn das dor Orweidsschudsobmann sieht, kriste richtich Ärjer, Mensch Junge. Nu gugge nich so bleede. De Baledde findsde hingene, nimm dor n Gran un holse dir ran. Owwer nich hier hin, Mensch Junge. Hier muss frei bleim. Hier is Fluchdwech, Mensch Junge.“  Kran? Ich und Kran? Bin doch Lehrling, darf das Teil doch gar nicht allein bedienen! „Mensch Junge, siehsde hier irjendwo n Orweidsschudsobmann? Nich? Also, mach dasde voranne gommst und hol die Baledde vor. Mach hinne, Mensch Junge. Du weesd ja, dor Blan.“

14 Uhr, Feierabend. Es gab Geld. Lehrlingsentgelt. 108 Mark. Ab in den „Starken Arm“. Die Kneipe gleich neben dem VEB Metalleichtbaukombinat Werk Halle, Betreibsteil III, Tor zwei. Die Kneipe, aus der die Lehrlinge in der Spätschicht das Bier holen müssen. Für den Brigadier, für den Polier und den Meister. Flaschenbier. Ein Glas im „Starken Arm“ kostet 40 Pfennige, ein Viertelliter. Aus zwei werden acht. Und der Montag ist rum. Wir auch. Hoffentlich ist bald Freitag.

 

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2 Kommentare zu “Montags oder „Wenn das dor Orweidsschudsobmann sieht“

  1. Gut beschrieben, so war es da wirklich, in der „Bude“. Ich hab da Schweißer gelernt. Und musste in der Lehre Bier holen.

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