Hast Du Zigrette?, fragt das junge Mädchen mit den hochhackigen Schuhen im Minirock. Ihre Taille hat kaum mehr Umfang als die Zigarette, deren Rauch sie tief inhaliert. Sie mag höchstens zwanzig sein, ihre Fingernägel sind lang und schwarz angemalt. Sie hat zu viel Schminke in ihrem Gesicht und die Netzstrumpfhosen, hinter denen ihre dünnen Beinchen viel zu blass hervorschimmern, haben auch schon bessere Zeiten gesehen. 50 Euro alles komplett, flüstert sie dem leicht angetrunkenem Touristen zu. Doch der hat was anderes vor. Er nickt zwar freundlich zurück, entscheidet sich aber doch für die nächste Tür. Hier gibt es fette Burger und Fritten, das hat er wohl gesucht.
An den Tischen im Fastfoodrestaurant sitzen die, die man hier als Menschen mit Migrationshintergund bezeichnet. Einige von ihnen sind scheinbar froh, endlich etwas zu essen zu haben. Andere sind fett und feist und Goldketten behangen und haben ihren Autoschlüssel vom dicken BMW sichtbar auf dem Tisch liegen. Die eine Hand hält ständig ein vergoldetes Handy ans Ohr, die andere taucht längst kalt gewordene Fritten in dicke Mayonnaise.
Oben in der ersten Etage, direkt über dem Restaurant, sind die Fenster von innen rot und blau angeleuchtet. In einem blinkt ein Herz, ein anderes verrät „Offen“. Das junge Mädchen ist inzwischen verschwunden. Wer sie jetzt noch treffen will, muss bei „Diskret“ klingeln. Ein Mann Mitte 50 sieht sich erst ein paar Mal um, bevor er sich traut. Dann drückt er den Klingelknopf. Doch bevor noch ein Summer ertönt, schleicht er sich mit geducktem Kopf davon.
Gegenüber an der Ampel, direkt vor dem großen Kaufhaus, sitzt John. John sitzt oft hier, erzählt er mir. John spielt Saxophon. In seinem Koffer liegen ein paar Eurostücke und jede Menge Cents. Candy Dulfers Lilly was here klingt über den ganzen Platz. Übertönt den immer währenden Eigenklang des Platzes. Eine Mischung aus Schritten, Rufen, Imbissverkaufsgesprächen, Taxihupen, Automotoren. Und den Gesprächen der Penner, Bettler und Obdachlosen, die sich ein paar Bier und eine ergatterte Schachtel Zigaretten teilen.
Inzwischen erleuchten Laternen den Platz. Die Leuchtreklamen ringsum locken Kundschaft in längst geschlossene Geschäfte. Manuel, Mode für Männer und Dessous in alle Größen gibt es, aber eben nur zum ansehen. Dafür leuchten sie um so schöner und um die Wette. Die kleine Asiatin im China-Imbiss mit den Nudeln-Mit-Hunh-Und-Gemüse in der Tüte für zwei Euro fuffzich schüttet nochmal eine Großpackung Reisnudeln in die große Pfanne. Ein dicker Tourist steigt daneben aus einem Taxi und fragt den Fahrer durchs Fenster, wo denn hier nun der Puff sei. Haste keene Augen im Kopp oder wat, sagt der und braust davon.
Wie aus dem Nichts taucht das dünne Mädchen mit den kaputten Netzstrumpfhosen auf und führt Mr. Big so gar nicht diskret zur Tür mit dem gleich lautendem Klingelschild. B-IG, das steht hier auch auf jedem zweiten Nummernschild der dicken Limousinen, die hier überall im Halteverbot parken. Abends, am Hermannplatz in Neukölln.
Oh Herrmannplatz, wo auf Trottoirs, die mal zu alten Zeiten welche waren, Hundsfotzköttel, geknickte Kinderwagen, halbierte Fahrradgerippe, zersplitterte Bierflaschen, Erbrochenes und zermatschte Tomaten mit Dönersoße die Assemblage eines ästhetischen Ganzen sind, was von vielen Menschen immer mehr als Kult empfunden wird.
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