Ding des Monats V

Werbung

Beichte

Ja, ich muss es zugeben. Ich habe es wirklich getan. Ich bin dahin gegangen. Naja, eher gefahren. Mit dem Rad. Ich war dort. Mittendrin. Im Wahnsinn. Im Fußball-Wahnsinn. Ich habe mich hin getraut. Auf die Fanmeile. Heute früh. Auf dem Weg zur Arbeit.

Jobkarte & Fiskalchip

Fußball schafft Handlungsfreiheit, schreibt der binladenhueter von politplatschquatsch. Ist das Volk im nationalen Taumel, weil elf junge Männer in kurzen Hosen von Sieg zu Sieg eilen, regiert es sich mit leichter Hand. Seit dem ersten Spiel bei der Europameisterschaft haben Bundesregierung und Parlament, die sonst um Visionen und Remen einen großen Bogen machen, allerlei mutige Beschlüsse gefasst.

Ein „Fiskalchip“ wird demnächst in jedem deutschen Laden und in jeder Kneipe in jeder einzelnen Kasse centgenau erfassen, wer wann was gekauft und mit welcher Kreditkarte bezahlt hat. Eine „Jobkarte“ wird alle Angaben zu Einkommen, gezahlter Steuer und Familienverhältnissen mit einer zentralen Datenbank vernetzen. Und weil es gerade so gut läuft und sowieso niemand etwas mitbekommt, das nicht mit „Jogi Löws Elf“ anfängt, schieben Union und SPD gleich noch eine Diätenerhöhung für die notleidenden deutschen EU-Abgeordneten nach.

Um bis zu 1000 Euro im Monat sollen die Diäten steigen, weil die Europa-Abgeordneten künftig wie jeder andere normale Steuerflüchtling wählen können, ob sie den hohen deutschen Steuersatz zahlen wollen oder den halb so hohen der EU. Der Beschluss wird ohne Aussprache gefasst werden, um das fußballbtäubte Volk nicht unnötig auf die Barrikaden zu bringen.

Alles für Berlin

Auch von hinten beeindruckend: Europas größte mobile Videowand (80 qm) wird auf der Berliner Fanmeile am Brandenburger Tor aufgebaut

Gestern bei der Präsentation der 2008er EM-Fanmeile auf der Straße des 17. Juni. Die Weltpresse ist Brötchen kauend und Coce trinkend anwesend. Einer der Veranstalter ergreift das Wort: „Wenn wir ins Finale kommen, können wir die Fanmeile noch einmal verlängern und auch noch eine vierte Videowand aufstellen. Allerdings müsste dann irgendwo anders eine agbebaut werden. Denn Videowände sind zur Zeit in Europoa ziemlich knapp.“

Das kennen wir doch noch. Damals, als sowieso alles knapp war. Aber in Berlin Wohnungen gebaut werden mussten. Da wurde kurzerhand eine FDJ-Initiative gegründet und damit gingen alle Ressuorcen automatisch in die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Es haben zwar alle gemurrt, aber so richtig Widerstand hat keiner geleistet. Ob aber die Fußballfans in einer anderen europäischen Hauptstadt ruhig zuschauen, wenn deren Videowand zugunsten Berlins abgebaut wird, bleibt zu bezweifeln.

Denn sie wissen nicht, wer da spielt

gepostet von binladenhueter via ppq

Ein ganzer Kontinent im Banne des Balls, ein ganzes Land im Fieber um Jogis Elf. 23 Millionen Deutsche sehen jedes Mal zu, wenn die deutsche Nationalmannschaft bei der Euro 2008 in Österreich und der Schweiz aufläuft, sie fiebern mit und zittern und bangen und hoffen, fahren mit Fähnchen am Auto herum und schmücken ihre Fenster mit der Nationalflagge. Auch die deutschen Medien kennen in diesen Tagen der Entscheidung über das schicksal der Nation kein anderes Thema mehr: Seitenweise werden Spieler porträtiert und bewertet, Trainer vorgestellt, Taktiken erörtert und Strategien beschrieben.

Was aber machen die 60 Millionen Deutschen, die nach den aktuellen Einschaltquoten von ARD und ZDF nicht zuschauen, wenn es gegen Polen, die Kroaten oder Österreich geht? Was wissen die von der EM, die keine kleine deutsche Fahne am Auto stecken haben? Die Jens Lehmann für den Sohn des Bäckers gegenüber, Lukas Podolski für einen polnischen Pop-Literaten, Oliver Pocher für einen Stürmer der Schweiz und Jogi Löw für einen ungarischen Kungfu-Lehrer halten?

Sie wundern sich darüber, dass die Holländer orangefarbene Leibchen tragen, sich aber französische Fahnen auf die Wangen malen. Dass es draußen in der Welt offenbar mehr Kroaten gibt als Deutsche, und dass die alle eine Vorliebe für T-Shirts mit Schachbrettmuster haben. Dass die USA nicht mitspielt. Und sie glauben, dass Brasilien nach der Vorrunde immer noch die größten Chancen auf den Titel hat.