Da habe ich meine halbe Jugend verbracht. Auf der Peißnitz in Halle. Tischtennis gespielt, Knack und Skat, Bier getrunken, geraucht. Das erste Mal geknutscht, verliebt gewesen, später mit Freunden den Sonntags-Stammtisch gegründet. Allerdings sah es bei uns dann schon etwas anders aus, als auf diesem Foto von 1958. Gefunden in Mutters alter Fotokiste. Fotografiert damals von Vater. Ich weiß noch, dass er mir einmal vom „Fallschirm-Sprung-Übungsturm“ auf der Peißnitz erzählt hat. Nur gesehen hab ich ihn nie. Bis heute.
Jugend
Gegendarstellung
Es wird derzeit wieder viel geredet. Über die Fikri, die Folgen und überhaupt. Mit überhaupt meinen manche das große Ganze. Also Deutschland. Und wie es seit der Wende sich so entwickelt und überhaupt der Solizuschlag. Die neuen Autobahnen im Osten des Landes, die Supermärkte, das schöne neue Leben, das wir Euch sozusagen mitgebracht haben.
Ja, so reden immer noch und immer wieder so manche. Und dann blicken sie herüber. Sie sagen nichts, und doch meinen sie es. Der war doch bestimmt auch dabei, na wenigstens an der Grenze. Nein? Die Partei doch aber? Oder? Nicht? Nein?
Nein, ich war kein IM. Nicht bei der Stasi, nicht beim Ministerium des Innern, nicht bei Mielke. Ich war auch kein Oibe. Weder vor noch nach der Wende. Auch ein Stasi-Opfer war und bin ich nicht. Auch kein Bürgerrechtler oder Revoluzzer. Ich war auch nicht in der Partei. Nicht in dieser, nicht in jener. Ich war nicht bei der Armee. Nicht in der einen, nicht in der andern. Nein, ich habe auch nicht studiert. Nicht privilegiert, nicht mit Beziehungen, auch nicht mit Abi eins komma null.
Und ich komme nicht aus Sachsen. Auch nicht aus Leipzig, Karl-Marx-Stadt oder Dresden. Mein Dialekt ist kein sächsisch. Ich habe als Kind nicht in der Gruppe gekackt. Ich war aber schon immer dagegen. Ich war einfach nur jung.
Nach Mallorca durften wir nicht
Wie es sich denn so als Kommunist gelebt habe, damals, in der DDR, wollte neulich ein Kollege von mir wissen. Natürlich war das Thema Mauer und die Jahre, die seit ihr vergangen sind, der Auslöser. Nun, sagte ich zu ihm, das wisse ich nicht mehr so genau. Denn als Kommunist hätte ich nie so richtig gelebt, in der DDR. Oder würde er sich an seine Jugend als Kapitalist erinnern? Das wäre aber doch ganz was anderes, so könnte ich ihm nicht kommen, sprach er und wollte sich davonschleichen. Halt, sagte ich, ich war noch nicht fertig. Denn ich will erzählen, wie ich gelebt habe, damals in der DDR.
Ich war Musiker, ich war Schlosser, ich war jung, ich war verliebt. Ich hatte Freunde, und hab sie heute noch, ich hatte eine Jeans, eine Jeansjacke, eine Gitarre, lange Haare, Bart, fast jedes Wochenende mindestens ein Party. Ich hatte Glück, ich hatte Pech, ich hatte zwei Bands und viele Muggen (Mugge = MUsikalisches GelegenheitsGEschäft), ich war Trampen und Campen, wobei das damals immer Zelten hieß, ich hatte nen Walkman und ein Spulentonbandgerät. Manchmal war ich traurig, dann konnte ich gute Texte schreiben, dann war ich wieder glücklich, da konnte ich gut Musik machen. Ich ging zur Schule und in die Lehre, ich ging in die Kaufhalle und in die Kneipe. Ich trank gern Bier, Campa und Pfeffi, Klaren Juwel mit Quick-Cola gemischt, am liebsten mit Freunden und aus der Flasche. Ich war HFC-Fan und Fan von Deep Purple, ich hörte gern BAP, Herrn Kunze und Lift. Ich war auf Montage, in Schichten im Kraftwerk, ich stand an der Stanze, der Säge, am Fließband. Ich ging sehr gern schwimmen und rauchte viel Karo, manchmal auch Semper oder F6.Alles in allem, es war meine Jugend, eine Jugend, verdammt gut und schön. Auch wenn ihr im Westen das niemals verstehn wollt.
Da sprach mein Kollege: Nun gut, das hatte ich alles nicht. Aber wollte ich auch nicht. Denn ich durfte dafür nach Mallorca, nach Mallorca durftet ihr nicht. Und da musst ich ihm Recht geben. Nach Mallorca, nach Mallorca durften wir nicht.
Es war nicht alles schlecht: Klarer Juwel und Karo