Braumeisterlich & Bitterness

Auch wenn ich befürchten muss, dass (auch) aus dieser Brauereikneipe ein Schickimickiladen werden könnte, muss ich doch an dieser Stelle mal auf eine Neueröffnung hinweisen, die es mir angetan hat. Das Straßenbräu in der Neuen Bahnhofstraße am Ostkreuz öffnete gestern die Hähne und ließ ganze zehn Biersorten aus Fässern laufen. Zehn Sorten Selbstgebrautes – und da ist nicht einmal ein Pils dabei. Nein, Straßenbräu orientiert sich nicht an deutschen Braugewohnheiten. Straßenbräu ist international, erinnert mehr an die USA und Belgien. Kein Wunder, ist einer der Brauer, Sebastian Pfister, doch teils belgischer Abstammung. Auch Timo Thoennißen und Paul Schmidt sind nicht minder Fans des Craft-Bieres.

Und so kamen nicht nur Hopfen und Malz  zusammen, sondern auch drei junge Menschen mit einer guten Idee. Seit gestern werden nun Pale Ale, India Pale Ale (IPA), Red Ale und andere Sorten gebraut und gezapft. Meine Favoriten: das Dark Ale sowie das IPA, das für meinen Geschmack (US-erfahren) natürlich noch bitterer sein könnte. Aber auch da haben sich die Jungs natürlich Gedanken gemacht. „Ein bitteres IPA wie in den USA würde sich hier wohl kaum verkaufen, deshalb halten wir uns da etwas zurück“, erklärte mir Sebastian Pfister am Eröffnungsabend. Damit hat er wohl Recht und man muss es ja auch nicht gleich übertreiben. Und die Bier-Bitterness kann sich ja noch entwickeln.

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Das Straßenbräu-Team: Sebastian Pfister, Paul Schmidt, Timo Thoennißen (v.l.)

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Ein (un)wahrscheinlicher Kneipenabend

Es ist also wahr und zumindest seit vergangenem Montag auch sehr wahrscheinlich. Wissenschaftler streiten sich auch in Kneipen nicht um Bierpreise, Politik oder Sarrazinsche Thesen. Sondern um die Wissenschaft. Nicht der nächste Urlaub, nicht die Familie, nicht die letzte Geburtstagsparty sind eine Diskussion wert. Obwohl, eine Geburtstagsparty spielte auch am Montag am Kneipentisch ein größere Rolle. Es ging um das sogenannte Geburtstagsparadoxon. Dieses besagt, dass bei einer Party mit 25 Gästen die Wahrscheinlichkeit, dass zwei am gleichen Tag geboren sind, höher als 50 Prozent ist.

Der Mathematiker am Tisch, die vier Damen und Herren der Wissenschaft hatten sich nach unserem dritten Bier zu uns gesetzt, wollte mit Fachwissen und einer aufgestellten Rechnung mit Hilfe meines Notebooks, das ich ihm dafür zur Verfügung gestellt hatte, überzeugen. Was ihm aber nicht ganz gelang. Denn nicht nur ich zweifelte und zweifle immer noch. Auch die Biologin am Tisch hielt diese Wahrscheinlichkeit für sehr unwahrscheinlich. Da halfen auch keine Formeln und Rechenergebnisse via Exel. Und doch muss es wohl so sein. Obwohl für mein Verständnis immer noch mindestens 183 Gäste da sein müssten, um die Voraussetzungen für einen gemeinsamen Geburtstag zweier Personen zu erfüllen? Nun, die Mathematik sagt etwas anderes.

Ich bin dafür von einer anderen Wahrscheinlichkeit überzeugt: Interessante Leute lernt man am besten in der Kneipe kennen. Dafür liegt die Wahrscheinlichkeit meiner Überzeugung bei weit über 50 Prozent. Das hat nicht nur der letzte Montag bewiesen (grüße an die Naturwissenschaftler). Sondern schon etliche Abende in vielen Kneipen dieser Welt in den letzten 30 Jahren. In Halle und Göteborg, in Erfurt und Santa Cruz de La Palma, in Weißenfels und Okeechobee. Bleibt die Frage, die sich am Ende des Kneipenabends am Montag stellte: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mathematiker oder ein Wahrscheinlichkeitsexperte diesen Post lesen werden? Und mich überzeugen? Eher unwahrscheinlich, oder? Bitte melden!

Dabei fällt mir ein: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man bei einem Spanischkurs in Berlin, wo es geschätzte 500 Sprachkurse gibt, gleich am ersten Unterrichtstag einen Freund trifft, der ebenfalls Spanisch lernt? Eher gering, denke ich. Und doch passiert. Am Dienstag in der Pause, zwischen el nombre und el apellido, sind wir uns über den Weg gelaufen.

Control-R im El Rio und Die Erkenntnis vom überall sich fast gleich anhörenden Stimmengemurmel

Es war der letzte Abend in San Francisco. Live-Musik sollte schon sein, dazu ein paar eisgekühlte Bier. Nicht all zu schwer, in San Francisco. Die Auswahl war deshalb auch etwas größer. Die Entscheidung fiel für das El Rio. Eine Live-Musik-Kneipe am Rande des Mission-Districtes. Negra Modello aus der Flasche, Guinness und Red Hook vom Hahn. Im Hof ein Biergarten, in dem Rauchen erlaubt war, Kiffen zumindest geduldet. Gemessen an den süß duftenden Rauchschwaden, die sich im Hof verbreiteten, muss es sogar erwünscht gewesen sein. Eigentlich alles wie auch hier, nur ein bisschen anders eben. Wie auch der Einlasser, der, um die Langeweile zu vertreiben, in einem Buch las.

Die Bands , Acacia Collective, The Campbell Apartment sowie Control-R, ließen noch auf sich warten und so starteten wir mit nem frisch gezapften Red Hook (und genannten anderen Bieren) in den Abend. Wir suchten uns einen freien Tisch am Ende des Hofes, mit Blick auf die Bühne in der Kneipe, um das Konzert nicht zu verpassen. Und dann, beim zweiten Red Hook, kam die Erkenntnis: Die Sprache eine andere, das Bier ganz anders. Doch das Stimmengemurmel im Hintergrund klang genauso wie jedes andere Stimmengemurmel in einem beliebigen Kneipenhof Deutschlands. Mit geschlossenen Augen hätte man den Ort nicht ausmachen können. Es hätte durchaus auch das Objekt 5 in Halle, der Schleusenkrug in Berlin oder der Biergarten vom Noah in Erfurt sein können. Stimmenmgemurmel ist eben international. Naja, zumindest das vom El Rio in San Francisco.

Erholung à la Pankow

Eck-Kneipe in Pankow, Donnerstagmittag 11.30 Uhr. Zwei Herren im staubigen Blaumann sitzen, sichtlich erschöpft,  im schattigen Biergarten und lassen sich von der Kellnerin die dritte Runde Bier bringen. „Und mach ma zwee Kurze dazu“, sagt der eine und greift in seine Blaumann-Brusttasche. Er holt sein Handy raus und sagt: „Jetze ruf ick den Alten an. Bin mal jespannt, wie der rejagiert. So, wie der in letzter Zeit druff ist.“

Die Kellnerin kommt mit zwei Berliner Pils und zwei Korn. „Na denn uff unsan Urlaub, wa?“, sagt der eine grinsend und beide kippen sich das Schnäpschen hinter die Binde. „Hallo, Chef. Allet klar?“, sagt der Ältere in sein Handy. Und weiter: „Ick wollte Dir nur ma bescheid jehm. Der Ufftrach in  Schöneweide is erledichd. Und noch wat. Uns zweeje siehste erst am Mondach wieda. Wir brauchen mal ne Auszeit. Dit wird uns allet zuviel.“

Er hört eine Weile zu. Verzieht kurz sein Gesicht und sagt: „Na wat meinstn Du, wat icke allet für Tabletten brauch, um diese Drecksarbeit zu übatstehn? Und dit bei der Bezahlung. Nee,  DU hastse nich mehr alle. Icke schon, tschüss.“

„Wat hattern jesacht?“, fragt nun der andere bei gleichzeitigem Zwei-Finger-Hochzeigen zur Kellnerin. „Er hätte schon seit Tagen Tablettn nehm müssn. Wejen sein Kreislauf. Und icke würde allet nur noch schlimma machen. Aba nich mit mir. Haste nun noch zweeje bestellt, oder wat?“. „Ja doch, wird schon injeschenkt“, antwortet sein Kollege.

Die Kellnerin kommt und stellt zwei neue Pils auf den Tisch. „Ick hoffe ma, junge Frau, dat Sie dat Pilsgen jezapft ham. Mein Kolleje meint ehm, sie hättens injeschenkt.“ Die Kellnerin stellt das Tablett auf den Tisch, sieht einmal in die Zweier-Runde und sagt: „Im Gegensatz zu Euch wird hier gearbeitet. Und zwar ordentlich.“

Als die Frau in der Kneipe verschwunden ist, sagt Nich-mit-mir-Telefonierer: „Wat hat die denn? Man wird sich ja schließlich mal erholn dürfen. Oder wat?“

Heimat mit Ausschank

Schon einmal musste ich über das bevorstehende Ende berichten. Das Ende vom Sargdeckel, zu DDR-Zeiten Halles Kneipen-Institution, nach Abriss 1994 in einem Neubau dann doch wieder auferstanden. Was Sargdeckel heißt, kann eben nicht so einfach sterben. Doch nun scheint es wieder soweit. „Es stimmt, wir suchen einen Nachfolger“, bestätigt Familie Lies, die den Deckel übernommen hatte.

Der Sargdeckel. Zu Ost-Zeiten nach der gleichnamigen Straße nebenan in Martha-Klause umbenannt. Sargdeckel, das passte nicht in die sozialistische Wohngebietsgaststättenkultur. Doch für den Hallenser blieb es der Deckel. Hier, bei Bringfriede und Rolf Valerius. Montag bis Freitag geöffnet, jeweils von 15 bis 23 Uhr. Spätestens 16 Uhr waren alle Tisch besetzt. Freie Plätze gab es dann maximal noch am Stammtisch direkt vorm Tresen. Aber wer hier sitzen wollte, musste sich das erst über Jahre hinweg ertrinken.  Ich durfte. Nach Jahren regelmäßiger Einkehr.

Den Anfang machte meistens Schorschi, unser Freund, der nur ein paar Meter weiter in der Adam-Kuckhoff-Straße wohnte. Wenn er nicht zuhause war, dann ging man eben zu Rolli in den Deckel. Dort saß er dann schon, oder kam später hinzu. Helles 40 Pfennige (0,25 l), Pils 46, Export 48 Pfennige. Sternburg gab´s hier, vom Fass natürlich. Die Speisekarte klein, aber lecker und ausreichend. Bockwurst, Knacker, Rührei. Mit Kartoffelsalat oder Bratkartoffeln. Skat und Würfelspiele waren erlaubt. Lautes lachen oder Knutschen sah Rolli nicht so gern.

Mit zehn Ostmark sind wir über den Abend gekommen. Das waren also zehn Bier (vier Mark), vier kleine Schnäpse (vier Mark) und für eins achzig ne Knacker mit Kartoffelsalat. Mit Trinkgeld n Zehner. Da konnte man nicht meckern. Und war satt und meistens auch blau. Teilweise spielten wir Lügen-Max um Verkehrsampeln. Also um drei Schnäpse rot, gelb und grün. Das waren ein Kiwi genannter Kirschwhisky, ein Apfelkorn in der Mitte und hinterher dann noch ein mintgrüner Pfeffi. Da wird mir heute noch ganz schlecht.

Der Deckel, auch eine Kneipe vom damaligen Bermuda-Dreieck. Das „Zentral“ (oder Central?), das Café „Corso“ und der Deckel. Wenn man es geschickt anstellte, konnte man so den ganzen Tag und fast die ganze Nacht in einer der drei Trinkhallen verleben. Aber das hat bei den Trink-Mengen damals eh keiner durchgehalten. Außer Schorschi. Der ist manches Mal vom Deckel ins Zentral, von da ins Corso, und wieder zurück in den Deckel.

Der Deckel war zum Wohnzimmer geworden, zur Heimat mit Ausschank. Für viele so sehr, dass sich schon lange vor den 1989 eine Bürgerintitiative bildete. Zur Rettung des Deckels. Denn auch in den 80ern sollte schon einmal die Abrissbirne anrücken. Eine Wirtsfamilie mit Leib und Seele und die Stammgäste haben es damals verhindert. Den Abriss nach der Wende konnte keine BI verhindern. Wenn eine Versicherungsgesellschaft einen Neubau plant, dann wird eben neu gebaut. Und das Alte abgerissen. Aber wieder retteten Stammgäste das Weiterleben vom Deckel.

Rolf Valerius war schon länger tot und Bringfriede hatte den Laden allein mit Unterstützung in der Küche weiter gschmissen. Doch ein Neuanfang nach dem Abriss kam für sie nicht in Frage. Thomas Lies und Frau, Gäste und Köche bei Bringfriede, übernahmen den Deckel dann im Neubau und führten die Wohnzimmer-Mit-Auschank-Tradition weiter. Doch nur noch bis zum 30. Juni 2010. Dann soll Schluss sein. „Vielleicht schon ein, zwei Wochen früher“, sagt die Wirtin. Es sei denn, es findet sich ein Nachfolger. Es muss sich ein Nachfolger finden. Der Deckel kann doch nicht einfach zuklappen. So lange wir noch alle leben.