Sprachprekariat im Freischwimmbad

Freibad Seestraße, Berlin Wedding. Bei diesen Temperaturen ist das Bad schon am Morgen recht gut gefüllt. Im Becken die Schwimmer, die jeden Morgen hier ihre Bahnen ziehen. Neben dem Becken die Schwimmmeister und Rettungsschwimmer, die jeden Morgen dort sitzen.  Auf zwei, scheinbar mitgebrachten, Klappstühlen sitzen zwei Herren ungewissen Alters (der eine vielleicht 35, der andere eher 50) in Badehosen und halten ihre Hartz-IV-Büchsenbierbäuche in die Sonne. Sie unterhalten sich über zwei Mädchen, die auf den Grün- und Rasenflächen arbeiten. Die Mädchen jäten, harken und säubern die Grünflächen. Sie sind schätzungsweise 16 oder 17 oder 18 Jahre alt, also in der Ausbildung oder im Schülerpraktikum.  Zwischen den beiden Herren, ich will sie hier Sprachprekariat I (SPK I) und Sprachprekariat II (SPK II) nennen, entspinnt sich folgendes Präkariats-Gespräch:

SPK I: Siehste ditte?

SPK II: Wat?

SPK I: Die da mit die Harke?

SPK II: Die da dit Gras sauber machen tut?

SPK I: Jenau die.

SPK II: Seh icke.

Pause.

SPK I:  Nu stell Dir mal vor, Du hättest dit mit die Arbeit jemacht.

SPK II: Wat. Mit die Arbeit?

SPK I: Na dit mit die Bewerbung. Wo Du vonne Jobcenta dit Briefschreiben hast. Weeste nich mehr?

SPK II: Ach so.  Wose mir Arbeit andrehn wolltn. Penna.

SPK I: Denn würdste jetze da drüm stehn und den Rasen sauba machen tun.

SPK II: Penna.

Pause.

SPK I: Keen Bier. Nur schuftn.

SPK II: Die Penna vonne Jobcenta ham sich einjebildet, ick würde mir bewerbn jehn. Penna.

SPK I: Haste aba nich.

SPK II: Bin ja nich behemmat. Penna. Jefälscht. Wie imma. Hat keena jemerkt nich.

Pause.

SPK II: Solange die Alte putzen jehn tut,  is allet schön.

SPK I nickt.

SPK II: Kiek ma. Jetze müssen die och noch mit den Müll rummachen.

SPK I: Ekelhaft. Drecksarbeit.

SPK II: Aba ohne uns.

SPK I: Penna.

SPK II: Jenau.

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Nächste Ausfahrt Wedding

Endlich wieder mit dem Fahrrad unterwegs. Endlich raus aus der stickigen U-Bahn, wo die Migrantenjugend in ihre Handys brüllt oder diese als Musikanlage benutzt. Raus der überfüllten S-Bahn, wo die Dealer und Vollidioten die Opa, Omas und Touristen anmachen. Wo die Penner jeden Tag mit der gleichen Leier (mhm ichbinderklaus und mhm ichbinzurzeitohnearbeit und mhm und ohnejobmhm und ichwürdemichfreuen mh übereinekleinespende mhm und mhm nehmauchwaszuessen mhm oderzutrinken) nach ein paar Cent betteln.  Raus aus der verspäteten und umgeleiteten Straßenbahn, wo oft am Morgen noch die Kotze der Nacht unter den Sitzen schwappt. Welch ein Gefühl, endlich wieder jeden Tag zur Arbeit und zurück radeln zu können. Endlich wieder mit dem Fahrrad durch Wedding.

Vorbei an dem kleinen Eckladen, in dem seit Jahren schon die gleichen bunten Handy-Klarsicht-Schutzhüllen neben gebrauchten und wahrscheinlich geklauten Handys liegen. Vorbei an dem Haus mit den stets geschlossenen Jalousien im Erdgeschoss mit dem aufgemalten roten Herz und der Aufschrift „Bei Moni“, wo es immer so penetrant riecht. Eine Mischung aus Pisse und süßlichem Parfum und ein bisschen altes Frittierfett von der Pommesbude nebenan. Vorbei an all den tiefer gelegten schwarzen Mercedes-Benz-Karren mit den Kennzeichen B-OS (um zu zeigen, wer der Bos hier in der Straße ist), die grundsätzlich auf dem Rad- und Fußwegen parken während ihre Fahrer wichtig in ihre Mobiltelefone reden,  von denen sie mindestens zwei haben. Wahrscheinlich aus dem Laden an der Ecke.

Vorbei an dem kleinen Wäldchen, wo auf der Bank vormittags die Mütter mit Kopftüchern und nachmittags Rasta-Typen mit Dope und mehr im Angebot sitzen. Vorbei an dem Frisier-Elektronik-Laden mit dem Namen „Locken und Internet“.   Vorbei an der kleinen Pizzeria, wo ein Stück so groß wie ein halbes Kuchenblech ein Euro kostet und wo man mit einem Codewort (Pizza Speziale) auch Marihuana erwerben kann. Erzählt man sich. Vorbei an dem Park, wo am Rand immer die drei gleichen alten Herrschaften mit ihren Krückstöcken und Bärten und Kappen und Rosenkränzen und schwarzen Anzügen und weißen Hemden sitzen und so tun, als wären sie die wahren Herren des Kiezes, was gar nicht so abwegig ist. Vorbei an der Tramhaltestelle, wo immer die gleichen Hunde in die Ecken pinkeln, die gleichen Penner betteln und wo immer wieder die Scheiben des Wartehäuschens eingeschlagen werden.

Vorbei an dem Supermarkt mit den vergitterten Fensterscheiben, wo die beiden muskelbepackten Super-Wachschützer mit den schwarzen Muskel-Shirts und schwarzen Hosen super wichtig tun und abwechselnd in ihre WalkieTalkies quatschen. Oder zumindest so tun. Und schließlich geht es noch vorbei an dem Blumenladen mit den beiden Vietnamesen, die ihren Umsatz hauptsächlich mit Schmuggelzigaretten machen und sich trotzdem freuen, wenn mal jemand Blumen statt kauft statt ner Stange Jin Ling. Vorbei an all den schönen Dingen Berlins, die man aus der U-Bahn niemals sehen würde.

Ein Berliner Morgen zwischen Tram und U-Bahn

Ein ganz normaler Donnerstagmorgen in Berlin. Die Tram der Linie 50 kommt mal wieder zu spät. Nichts Neues. In der Bahn riecht es aber diesmal verdammt streng. Das kommt eher selten vor. An einem Donnerstagmorgen zumindest. Ich will gar nicht hinsehen, entdecke dann aber doch den Grund. Ein Haufen Erbrochenes zwischen den hinteren Sitzenreihen, halb getrocknet schon. Was den Aggretatzustand noch nicht geändert hat, wabert sich langsam Richtung Fahrerkabine. Schafft es aber nicht bis zur Osloer Straße. Welch glücklicher Morgen.

Im Eingang zur U-Bahn dann stürzt ein etwa 13-jähriges Mädchen die Treppe hinunter. Vorher rempelt sie mich aber noch an. Nur das Treppengeländer verhindert meinen eigenen Sturz. Die junge Dame hat viel zu hohe Stöckelschuhe an, telefoniert und bedient gleichzeitig mit der anderen Hand ihr iPod. Die Treppe ist Nebensache. Sie überlebt es, auch Handy und Player scheinen nichts abbekommen zu haben. Und zum Glück stürzte sie nicht in das Erbrochene am Ende der Treppe (getrocknet, also ohne Geruch).

Im Bahnhofsuntergeschoss neben dem asiatischen Schnellnudelladen stehen wie immer die Penner bei Bier und Getränken aus anderen Flaschen. Sie unterhalten sich, rauchen (Scheiß auf das Verbot), lachen laut. Es scheint, als ginge es ihnen gut. Nun, sie müssen wohl nicht zur Arbeit. Ihre zwei Hunde (jeweils mit roten Halstüchern geschmückt) laufen aufgeregt durch den U-Bahnhof und beschnüffeln jeden und alles. Und pinkeln, neben den Papierkörben, auch einen Bettler an. Der bekommt es jedoch nicht mit. Weil er schläft. Oder besoffen ist. Oder beides.

Beim Bäcker direkt daneben stehen die Leute trotzdem an (obwohl es gar nicht gur riecht, an diesem Morgen hier). Die Schrippen sind preiswert und gut und besonders die Schnitten gehen weg wie warme Semmeln. Im Gegensatz zu Hunderten anderen Bäckern in Berlin werden hier, statt Baguettes und Schrippen, hauptsächlich Schnitten geschmiert. Hamburger Schnitte mit Käse und Ei oder Salami oder besonders beliebt auch die Schnitte mit Zwiebelmett. Und wenn man etwas flacher atmet und sich von Hunden, Papierkörben und schlafenden Pennern fernhält, schmeckt sogar der Kaffee hier.

Unten auf dem Bahnsteig der Linie 9 sind wie immer alle Sitzbänke belegt. Mit Liegenden. Denen es oben zu kalt ist, die schlafen hier unten. Ihren Rausch aus. Oder einfach nur so. Weil es sich im Liegen besser Bier trinklen lässt. Einer blickt kurz hoch, spuckt auf den Boden, dreht sich rum und schläft weiter. Daneben ein paar Jugendliche mit Migrationshintergrund. Sehen nicht so aus, als ob sie zur Schule wollten. Rauchen, reden lauthals outlandisch und treten sich gegenseitig. Zwischen die Beine und anderswo hin. Bei jedem Treffer sagen sie „wwwusch“.

Dann kommt auch schon die U9. Endlich kann ich mich in den Waggon flüchten. Und was muss ich sehen? Alle Sitze sauber, kein Erbrochenes, keine leeren Bierpullen, die durch den Wagen kullern. Irgenddwas stimmt hier nicht. An diesem Donnerstagmorgen in Berlin.

Als Penner…

…bezeichnet man eigentlich und laut einiger diverser Lexika und Wörterbücher Obdachlose. Doch im Volksmund werden auch schon mal Jugendliche, Langhaarige, Glatzköpfige, Arbeitslose, Freaks, Schwule, Tunten, Transsexuelle, Zugezogene, Weggegangene, Unverständliche, Missverstandene, Fußballfans, Rock´n´Roller, Blueser, Folkmusiker, Punks, Skins, Biertrinker, Schnapssäufer, Verkehrsbehindernde oder auch Schlafende als Penner bezeichnet. Letzteres würde zumindest bei diesen zwei stimmen. Schlafen da einfach so rum. Und ganz nebenbei wird noch gebettelt. Haben sich nicht mal bedankt. Immerhin, 20 Cent hat der Herr im Zwirn in den Becher geworfen. Diese Penner, sagte der Herr im Gehen. Sonntag Nachmittag im Berliner S-Bahnhof am Hackeschen Markt.

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Foto: OleK