Freunde

feuer_himmelfahrt_01Nun ist es also (fast) soweit. Ein halbes Jahrhundert auf der Welt. Geteilt fast genau in der Mitte durch Ost und West. Knappe 25 Jahre in der DDR. Die folgenden dann in dem, was daraus wurde. Viel Gutes wurde daraus. Persönlich sowieso.  Auch davor gab es Gutes. Die Musikschule in Merseburg zum Beispiel. Gerade heute denke ich an die ersten Geigen-Stunden, die nur noch blass im Gedächtnis haften. 45 Jahre ist das her. Als ich 1972 in die (Polytechnische) Viktor-Koenen-Oberschule in Merseburg Süd eingeschult wurde, hatte ich schon fast zwei Jahre Geigenunterricht hinter mir.

Unsere Nachbarn damals tun mir heute noch leid. Kaum ein anderes Instrument erzeugt in den ersten Lehrjahren dermaßen schiefe und nervende Töne wie dieses Instrument. Aber es hat sich gelohnt. Ich kann es noch heute. Dazu gekommen sind dann später noch die Gitarre. Das Akkordeon. Die Mandoline. Viel Musik wurde auch daraus. Zuerst bei „Fliegenpilz“ in Haneu. Später dann mit „Schreihals“ in Erfurt. Heute noch mit Freunden. Immer dann, wenn man sich sieht. Und die sind übrigens das Wichtigste von damals.

Freunde. Freunde, die es geblieben sind. Freundschaften, die gewachsen sind. An ihr selbst und an den Reibungen, die dabei entstehen.  Gewachsen in vielen gemeinsamen Stunden. Gewachsen in der Nähe. Größer geworden in der Ferne. Größer geworden aus Sorge um den Freund, um die Freundin.  Tiefer geworden aus Achtung und Dankbarkeit. Und aus Trauer und Schmerz. Gemeinsam wurde so einiges erträglicher. Wenn auch oft ohne die richtigen Worte. Aber auch Schweigen kann etwas ausdrücken. Schweigen wiegt oft schwerer als ein Wort.

Es sind Freundschaften, die ein Leben begleiten. Die ältesten bringen es auf weit über 30 Jahre. Die jüngsten, nicht minder tiefen, auf gerade mal drei Jahre. Das prägt. Das macht stolz. Und glücklich. Denke ich an Euch, verspüre ich große Achtung. Auch Dankbarkeit. Ohne auch nur ein bisschen zu übertreiben. Ihr habt mich geprägt. Unbezahlbar.  Mit Euch kann man alles meistern. Auch den 50. Und alles, was noch folgen wird. Danke dafür!

 

 

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Bilder aus der Fotokiste V

Ein Abend in der Engelsburg. 1987 gehörte der Studentenclub in der Altstadt von Erfurt noch zur Med-Ak, zur Medizinischen Akademie. Glücklich, wer einen Studentenausweis hatte, ebenso wer im Besitz eines Med-Ak-Ausweises war. Denn nur die durften rein, jeweils in Begleitung eines Gastes. Besonders die Faschingsveranstaltungen mit der Aufführung von teils subversiven Kleinbildkamera-Filmen, mit Party durch die Nacht und jeder Menge Alkohol waren beliebt und meistens lange vor Beginn ausverkauft. Die Engelsburg, damals eine Institution. Nur wer rein kam, war dabei. Nur wer dabei war, konnte mitreden. Wem der Einlass verwehrt wurde, der war „raus“.

Oder aber man spielte selbst in einer der Bands, die regelmäßig dort auftreten durften. „Schreihals“, das waren wir. Folklore, dass es schaurig von den Bergen widerhallt. Räuber- und Soldatenlieder, Vagabuntentexte und Tänze, gespielt mit Gitarre, Mandoline, Geige, Akkordeon, Dudelsack und Flöte. Zum Warmwerden und gegen das Lampenfieber gab´s Aromatique. Aus der Flasche. Mit kleinen Schnapsgläsern gaben wir uns erst gar nicht ab. Und natürlich gab es auch eine Gage. 150 Ostmark, berechnet an der Höhe unserer „Sonderstufen-Einstufung“ als „Hervorragendes Volkskunstkollektiv“. Aus heutiger Sicht betrachtet eine Frechheit. Uns Volkskunstkollektiv zu nennen. Aber so waren sie nunmal, die Castings zu DDR-Zeiten.

In der Jury saßen keine Schlagersänger, keine Topmodels und auch keine Plattenproduzenten. Die Jury hieß Kommission und kam vom BKA, vom Bezirkskabinett für Kulturarbeit. Alle Bands, alle Folkloregruppen, alle Volkskunstkollektive, mussten sich den Damen und Herren stellen. Bei den Rockbands achtete man streng auf das 60/40-Verhältnis. 60 Prozent aller Titel mussten aus dem Ostblock stammen, der Rest durfte aus dem Westen sein. Bei uns achtete man eher auf „verbotene“ Texte. Nicht jedes Soldatenlied aus dem 30-Jährigen Krieg war erwünscht. Nicht jedes Kirchenlied ein Brüller. Und so musste man vorsichtig abwägen, welche Lieder man sich zur Einstufung erlauben konnte. Dabei natürlich auch die Herren von der Stasi. Nicht offiziell, aber eben irgendwo im Publikum. Und doch cdeutlich zu erkennen an ihrem Kurzhaarschnitt, ihren Kunstlederjacken. Später einmal, als der Sozialismus schon wankte, als im Landtechnisches Instandsetzungswerk Erfurt die Erfüllung des Schrottplanes höhere Priorität als die Erfüllung des Produktionsplanes hatte, begrüßte einer unserer Mitstreiter zuerst das Publikum und dann „noch die Herren, die heute dienstlich hier dabei sein dürfen“. Wonach zwei Kurzhaarige „unauffällig“ den Saal verließen.

Schwer hatten es auch Metal- und Hardrockbands. Da hatten die Kommissionen der Bezirkskabinette keine entsprechenden Vorlagen auf ihren Formularen. Bei einer dieser Hardrockbands schrieben jene dann ins Einstufungsprotokoll: Soulmusik mit Free-Jazz-Elementen.

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Gitarre im Ofen, Mandoline im Feuer

Ein Freund, der meines Erachtens sehr gut Gitarre spielen kann, sagte einst nach Anhörung dieses Songs: „Das bringt doch eh nichts, das hat doch alles keinen Zweck. Ich schmeiß meine Gitarre weg. Ich steck sie gleich nachher in den Ofen.“ Da ist sie zum Glück nie gelandet.

Einzig eine Mandoline landete einst, wenn auch nicht im Ofen, so doch im Lagerfeuer. Ein Freund und gleich auch Besitzer der selbigen hatte sich einst, während einer Party in Oberüttfeld auf jene gesetzt. Nach dem Genuss einiger alkoholischer Getränke. Es gab einen kurzen Knack, dann sprangen die Saiten vom Brett und hinüber war es, das gute Instrument. Da es nun eh nur noch Brennholz war, warf er die Überreste ins Lagerfeuer. Samt dem Instrument und der Mechanik zum spannen der Saiten.

Am nächsten Morgen war das Feuer erloschen, ein wenig Glut war noch unter der Asche. Es qualmte so vor sich hin. Von der Mandoline war nicht mehr viel übrig. Außer der Metallteile, die von der Hitze der Glut lediglich etwas verbogen waren. Dann kam auch der einstige Besitzer jenes Instruments hinzu. Er steckte sich eine Zigarette an, sah in die Asche und fragte verwundert: „Welcher Idiot hat denn die Mandolinen-Mechanik ins Feuer geschmissen?“

Die Mandoline war hin, die Gitarre lebt noch. Und „Mediterranean Sundance“ ist immer noch eines der größten Gitarren-Stücke aller Zeiten. Es hat uns Jahre lang bei jeder unserer Partys begleitet. Es war in der Party-Wohnung der Aufweck-Song. Und das ohne West-Besuch. Denn Friday Night In San Francisco gabs auch von Amiga. Und die Gänsehaut gibt´s immer noch gratis dazu…

HR 3 wünscht Guten Morgen

Eigentlich hab ich Schorschi ja genau mit dem Lied kennengelernt. Beziehungsweise hat er mich genau mit diesem Lied überzeugt. Überzeugt davon, selbst Musik zu machen. Und so fing also mit Bernies Autobahnband alles an damals. Mit Fliegenpilz, später Schreihals. Sollte man sich an dieser Stelle eigentlich mal bedanken. Danke, Bernie!

Lieber Jens-Paul Wollenberg!

Gerade habe ich von Dir gelesen. Gelesen, dass Du immer noch dabei bist. Immer noch Pazifist, immer noch Barde, immer noch Sänger. Das ist schön. Ich weiß zwar nicht, ob Du diesen, offenen Brief, jemals lesen wirst. Ich möchte ihn aber trotzdem schreiben.

Denn es geht um damals, um Erinnerungen. Wie schon so oft hier in diesem Blog. Um Erinnerungen, die mich immer mal wieder einholen, überholen. Die aus Hirnschubladen qellen, hervorkommen, sich durch Jahrzehnte in die Gegenwart kämpfen. Weil es einen Anstoß gab. Irgendetwas. Ein Schlüssel zu alten Türen. Diesmal war es nur ein einziges Wort. Combo. In irgendeiner Zeitung laß ich heute das Wort Combo.

Während nun andere vielleicht eher an die Stern Combo Meißen denken würde, erschien in meinem Hirn ein anderer Name: Münzenberger Gevatterncombo. Deine Band, damals. Deine verbotene Band. Während die Damen und Herren von den Kreis- und Bezirkskulturkabinetten Euch nicht haben wollten, führte spätestens das bei uns zum Gegenteil. Wir wollten immer mehr von Euch. Jedes Konzert der Gevatterncombo war ein Höhepunkt. Ob in Halle, in Eurer Heimat Quedlinburg, in Leipzig oder in Merseburg.

Aber wir haben Euch nicht nur zugehört, sondern nachgeeifert und -gesungen (sozusagen gecovert).  Ich spielte damals nicht die erste aber die einzige Geige bei „Fliegenpilz“, oder auch „Fliepi“ genannt. Die Band von Schorschi. Der übrigens nicht mehr unter uns weilt, falls Du das noch nicht gewusst haben solltest. Schorschi starb am 30. Dezember 2007 in Halle. Sein ach so gutes Herz war am Ende zu schwach.

Aber zurück zu den Gevattern. Sogar im Jugenclub in Halle Neustadt habt Ihr gespielt. Ein Novum damals und unvergessen. Welcher andere (FDJ)-Klub konnte schon von sich behaupten, ein Konzert von und mit Euch erlebt zu haben? Und dazu noch Besuche von Hedo aus Hamburg (zum 5-Jährigen Fliepi-Geburtstag, auf dem Foto zusammen mit „Quickborn“). Noch heute frage ich mich manchmal, wieso das alles so reibungslos über die FDJ-Bühne gegangen ist. Verbotene Bands und West-Besuche. Im FDJ-Klub.

Besonders jedoch Deine Frank-Wedekind-Nummer „Ich habe meine Tante geschlachtet“ war noch Wochen, wenn nicht sogar Monate Gesprächsthema bei allen Gästen des Konzertes. Niemand zweifelte damals im Geringsten, dass Du diese Tat hättest auch durchaus begangen haben können. So überzeugend kam das rüber.

Aber auch Eure anderen Lieder gingen durch Mark und Bein. Die Gevatterncombo hatte es eben irgendwo besonders gut drauf. Und ließ sich eben auch nicht unterkriegen. Und anpassen schon gar nicht. Dazu hattet Ihr auch noch einen hervorragenden Bandoneon-Spieler. Der und dazu Deine Stimme, das war schon etwas ganz Besonderes. Einige Lieder haben wir später übernommen. Zuerst bei Fliepi in Halle und dann bei „Schreihals“ in Erfurt. „Die Räuber aus dem Böhmerwald“ und „Johann Meusel“ gehören noch heute auf jeder unserer Partys zum Standard-Programm.

Lieber Jens-Paul Wollenberg, Du bist der Erste, den ich hier in einer losen Folge „offener Briefe“ geschrieben habe, Briefe an andere sollen folgen. Ich hoffe, Du bist noch lange mit viel Spaß auf Straßen und Bühnen unterwegs.

Hochachtungsvoll, dankbar und immer noch in großer Verehrung

Ole