Der Mai hat 31 Tage…

…das lernt schon jedes Schulkind. Aber das will nichts heißen. So waren die Öffnungszeiten der Berliner Freibäder im Internet nur bis zum 30. Mai angegeben. Neue Öffnungszeiten gab es dann am 1. Juni. Am 31. Mai? Keine Öffnungszeiten. Also müssen die Bäder wohl geschlossen haben. Dachten sicher viele. Ich bin trotzden hingegangen. Und hatte das komplette Bad für mich allein. Das hatte schon etwas Einzigartiges, etwas Besonderes. Zumindest waren es meine ersten Mittags-Bahnen so ganz allein im Becken. Das gab es bisher nur am Anfang der Saison. Bei Wassertemperaturen von 15 Grad. Das wollte sich auch fast keiner antun. Aber bei 20 Grad allein im Becken, das ist neu.

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Dit jibs nur in Berlin (Wedding)

Heute früh in einem Hallenbad in Wedding. Eine Schulklasse (zweite oder dritte Klasse) ist auf dem Weg zum Schwimmunterricht und wartet vor dem Kassenhäuschen auf Einlass. Ein Mitarbeiter der Bäderbetriebe, vermutlich ein Bade- oder Schmimmmeister, verliest die Namen der Schüler, die sich daraufhin einzeln melden und hineingelassen werden. Yusuf! Hier! Djamal! Hier! Gabor! Hier! Varlik! Hier! Sabri! Hier! Zahit! Hier! Djamila! Hier! Suleiman! Hier! Halim! Hier! Issam! Hier! Qitura! Hier! Zuleika! Hier! Charda! Hier! Eleonora! Hier! Talat! Hier! Dshihad! Hier! Erzsebet! Hier! Iskandar! Hier! Svetanka! Hier! Namik! Hier! Said! Hier! Mansur! Hier! Alle drin? Jaaaaaa. Daraufhin der Bademeister zur Begleitperson der Schüler (Lehrerin?): Sagen Sie mal, beim letzten Besuch waren da aber doch noch wenigsten zwei deutsche Schüler dabei! Oder irre ich mich? Sie irren nicht. Anwtortet die Dame. Aber die Eltern der beiden sind umgezogen. Damit ihre Kinder in andere Schulen gehen können. Wo mehr deutsche Mitschüler sind.

Soundtrack eines halben Lebens

Nicht jeder Song, nicht jedes Lied hat Bedeutung für einen selbst. Doch jeder hat so seine Musik, die er mit seinem Leben verbindet. Wenn man dann viele seiner persönlichen Hits hintereinander hört, dann kommt es schon mal vor, dass man durch ein Stück eines halben Lebens wandert. Und das, wenn man eigentlich seine Bahnen in der Schwimmhalle zieht. Und das Glück hat, trotzdem Musik hören zu können.

So ging ich heute mit Freunden durch Halle. Irgendwann Mitte der 80er. „Soldier of Fortune“ von Deep Purple hieß die Fahrkarte in die Saalestadt. Freunde aus Jena waren da. Zuerst ging es in die „Goldene Rose“. Gebackenen Camembert essen. Dann weiter in den Turm. Später landeten wir noch in der Wohnung einer Freundin. Gleich hinter der Oper. Was dann geschah, bleibt ungewiss.

Denn „Little Girl“ von den H-Blockx katapultierte mich zwanzig Jahre weiter nach Erfurt. Ich steh hinterm Tresen, Montagabend. Die Kneipe ist halb voll. Die meisten trinken Bier, einige halten sich schon den ganzen Abend an einem Milchkaffee auf. H-Blockx tönt aus den Boxen und einer der Stammgäste will immer das eine Lied hören: „Risin`High“. Später dann, als gegen eins sich die Kneipe langsam leert, hören wir es uns noch ein paar Mal an.

Und schon geht´s wieder zurück. Aber diesmal nur in der Zeit. Ich bin immer noch in Erfurt und bei „Friday on my mind“ von Gary Moore sitze ich auf einmal im jenem Café, das damals jeden Sonntag der Treffpunkt war. Nach jeder Party in der Partywohnung ging es dorthin. 15 Uhr machte der Laden auf. Vorne die Omchen mit Kaffee und Kuchen, hinten an der Bar die Jungs mit Whisky, Weinbrand und anderen diversen Getränken. Später am Abend dann, wenn das Kaffeekränzchen vorn vorbei war, ging dahinten die Post ab. Heavy Metal aus den Boxen, Falkner aus den Gläsern. Bis zum Abwinken. Manchmal auch bis Montagmorgen.

Und dann, zu „Wild Horses“ von den Rolling Stones,  sitze ich auf einmal im Zug. Weiß nicht wohin, woher. Aber es ist ein Zug mit grünen Sitzen und großen Abteilen. Linksn und rechts jeweils zwei gegenüberliegende Zweierbänke. Also DDR-Zeit. Der Zug voller Studenten. Dann könnte es eine Sonntagabend-Fahrt von den Eltern zurück nach Erfurt gewesen sein. Ein Freund, der damals in Weimar studierte, fuhr ab und an im gleichen Zug. Er sitzt mir gegenüber, wir trinken Helles aus der Flasche, rauchen Karo.

Dann doch wieder Halle. Besser gesagt Halle Neustadt. Neubauwohnung. Wir sind zu zweit, es läuft „Bohemian Rhapsody“ von Queen. Wir malen. Oder zeichnen. Nein, jetzt wird es deutlicher. Wir vergrößern Bilder  mittels eines Storchenschnabels. Jimi Hendrix, Che Guevara. Dann folgt ein Song der Foo Fighters. Doch gerade, als sich der Film im Kopf aufbaut, ist Schluss. Feierabend in der Schwimmhalle. Alle müssen raus aus dem Wasser. Wieder 1000 Meter geschafft, wieder schöne Erinnerungen hervorgeholt. Bis zum nächsten Mal. Fortsetzung folgt…

Pankow unter Wasser

Es gibt gute und schlechte, große und kleine, sensationelle und weniger interessante, durchschlagende und in Vergessenheit geratene, nützliche und unnütze Erfindungen. Und es gibt jene, die man selbst für die größten aller Zeiten hält. Nicht ganz so groß, aber dennoch sehr interesant, nützlich und ein klein wenig sensationell ist für mich zumindest die Erfindung des wasserdichten Ipod Shuffles. Also des „Koffers“, der den MP3-Player wasserdicht umschließt. Zusammen natürlich mit den wasserdichten Ohrhörern. Wer, wie ich, gern schwimmt, und dies auch oft tut, der wird mich verstehen. Und auch, warum ich mir dieses Teil gekauft habe.

Denn das Einzige, was neben quer schwimmenden und im Weg stehenden Senioren in der Schwimmhalle noch stört, sind die Hallenbad-Geräusche. Die sich durch den Hall in der Halle verstärken und von überall her auf einen einstürzen. Dies ist nun Geschichte für mich. Ich höre jetzt meine Lieblings-Mucke. Über und unter Wasser. Ein kurzer Griff und der Player ist samt Hülle an der Schwimmbrille befestigt. Die wasserdichten Hörer eingestöpselt und los geht. Schwimmen und Tauchen mit Mucke.

Das Teil bleibt immerhin bis 3 Meter Tiefe dicht. Und spielt Musik. Was für ein Gefühl, wenn man zum ersten Mal unter Wasser „Stille“ von „Pankow“ hört. Oder Justin Sullivans „Ocean Rising“. Oder wenn das Klavier von Diana Kralls „Narrow Daylight“ erklingt.

Da kann man schon einmal vergessen, dass man eigentlich zum Schwimmen hier ist. Beim ersten Test war es denn auch so. Irgendwann stellte ich verwundert fest, dass ich meine geplante Strecke von 1250 Metern weit überschritten hatte. Denn statt der geplanten 40 war ich bereits 60 Minuten im Wasser. Bahn für Bahn, Titel für Titel. Oder wohl eher umgedreht. Musik hören und nebenbei Schwimmen. Dit is schau. Und erinnert mich außerdem an unseren schönen Urlaub dieses Jahr. Denn erworben habe ich das Teil, nach vergeblichen Mühen in Deutschland, in Miami Beach.

Shuffle einstöpseln, Case schließen, an der Schwimmbrille festmachen, loslegen

Bahn sechs, kurz nach sieben II oder Herbert hat gewählt

„Dit war der Herbert, dit sach ick dir!“, sagt Irmgard zu Trudchen. „Herbert? Wieso Herbert? Und wat meinsten übahaupt“, fragt Trudchen Irmgard. Die beiden Berliner Seniorinnen sind wie jeden Morgen im Stadtbad. Hier darf man vor acht zum Sonderpreis schwimmen. Oder, wie Irmgard und Trudchen es tun, im flachen Wasser stehen, ab und zu die Arme darin bewegen, und ansonsten Tratschen was das Zeug hält. Wie auch heute morgen wieder.

Ich hatte sie wegen der Sommer-Freibadsaison lange nicht gesehen. Sie haben sich nicht verändert seit dem Frühjahr. Beide haben immer noch ihre Perlenkette während des „Schwimmens“ um, beide tragen ihre lila-gelben Badekappen. Und ihre Badanzüge Marke „ein bis zwei Nummern zu klein“. Und beide blockieren wie ehedem Bahn sechs. Frau Stadtrat und ihre beste Freundin.

„Nu pass ma uff. Herbert hat beim letzten Kränzchen erzählt, dass er bei der nächsten Wahl es denen da oben mal so richtig zeigen will. Und abwähln will er den janz oben“, sagt Irmgard. „Na dit gloob ick jetze nich“, ereifert sich Trudchen. „Herbert? Der stammt doch praktisch von de Demjokraten ab? Großvata Demjokrat, Vata Demjokrat, Bruda Demjokrat. Der is doch praktisch jesehn mit Brandt uffjewachsen. Und Ernst Reuta war sojar n entfernta Nachbar von Herbertchens Mutta. Da musste dir irren, Irmjard.“

„Wat weeß ick denn, wie Herbert uffjewachsen is. Ick hab ja nich so´n enget Vahältnis mit dem wie manch andre Anwesende hier“, pariert Irmgard mit spitzem Mund. „Na, na, nu werd ma nich gleich komisch. Dit eene mal wirste mir jo wohl nich ankreiden wolln, wa? Und außadem, sind wa immahin n freiet Land. Da kann Herbertchen ja wohl wählen, wat er will“, erwidert Trudchen. Irmgard taucht langsam bis zum Hals ins Wasser, langsam wieder auf. „Nee“, sagt sie dann bestimmt, „mit so ne Familje kannste eben nich wähln, wat de willst. Jedenfalls nich die, wo ick gloobe, dass er die jewählt hat.“

„Wat gloobste denn, wat Herbert jewählt hat“, fragt Trudchen und taucht ganz langsam bis zum Hals ins Wasser, und langsam wieder auf. „Na die von drjüm“, antwortet Irmgard, „die vonne Es-Eh-Deh-Nachfoljer. Dit hatter doch imma ma wieda jesacht, dat die ja nich so schlimm sein solln.“ Trudchen schaut Irmgard an, zeigt mit ihrem rechten Zeigefinger an ihre Stirn. „Na dat is ja wohl die Höhe. Herbertchen is doch keen Kommjuniste. Dat is n ausjewiefter Demjokrat. Basta.“

„Ah, kieke ma, wer da kommt. Uns Herbert. Na, Herbertchen, wat haste jewählt am Wochenende“, fragt Irmgard, als Herbert langsam, ganz langsam, ins Schwimmbecken steigt (wie eh und je mit seiner superengen Mini-Badehose im Tigerlook). „Madam hier neben mir gloobt nämlich, Du hast die von drjüm jewählt.“

Herbert schaut beide fragend an und sagt: „Ick weeß ja nich, wat ihr hier schon wieda tratscht. Aba eens kann ick Euch sajen: Mein Ziel ha ick erreicht. Am Samstach ham wer den Vorstand vonne Skatbrüda abjewählt. So, wie ick dit mir vorjestellt hatte. Der olle Justav konnte ja schon nich mehr zwischen Re und Kontra untascheidn. Und Sonntach? Na die Demjokraten natürlich. Wat denn sonst – bei meene Familje.“

„Ja, wat, wie…“ Den Rest höre ich nicht mehr, denn ich habe ja noch zehn Bahnen vor mir. Und die Zeit ist knapp. Schließlich muss auch ich um acht draußen sein.