Glatze & die Wasserwanderinnen

Hallenbad Seestraße, Dienstag 6.35 Uhr. Die alten Hasen haben bereits ihre zwei, drei 50-Meter-Bahnen hinter sich gebracht. Sind immer schon zehn Minuten vor offiziellem Einlass da. Werden scheinbar auch dann schon rein gelassen. Und, ich ahne Schlimmes, auch die Damen von der Wasserwanderfront sind ebenso schon im Wasser wie „Glatze“. Glatze ist etwa 60 Jahre jung und macht einen auf Rückenschwimmer. Jedoch nicht so, wie man es normalerweise gewöhnt ist. Glatze schwimmt eine Art von Schmetterling, nur eben rückwärts und vieeel langsamer. Seine Arme tauchen gleichzeitig aus dem Wasser, wobei sie eine Menge chlorhaltiges H2O um sich und damit auf alle anderen Schwimmer rechts und links und vorn und hinten verteilen. Wonach sie in einem Winkel von etwa 15 Grad rückwärts wieder ins Wasser tauchen, um dort für den nötigen Rückschub zu sorgen. Die Füße von Glatze bewegen sich dabei recht selten. Sie hängen eher schlapp in Richtung Schwimmbeckengrund herab. Nur alle paar Meter strampeln sie etwas unkontrolliert. Was ja an sich nicht schlimm ist. Soll doch jeder schwimmen, wie er möchte.

So lange man sich an gewisse Schwimmbahnen hält. Doch genau das tut Glatze eben nicht. Weil der Herr beim Arme-Rückwärts-Paddeln die Augen geschlossen hat (Schwimmbrille kennt er anscheinend nicht), führt ihn sein unkontrolliertes Rückwärts-Treiben mal in die eine, mal in die andere Richtung (oben dargestellt mit der schwarz-gelben Linie). Was dazu führt, dass Glatze so ziemlich jeden anderen Schwimmer, und auch mir (oben die rote Linie) mindestens einmal pro Bahn in die Quere kommt. Okay, wir können ja ausweichen, wir sind ja gar nicht so. Glatze aber sieht das anders. Jedes Mal, wenn er wieder mal einen Schwimmer mit seinem Pranken erwischt hat, dreht sich Glatze um und murmelt „Nee. Also. So wat. Könnse nicht uffpassn?“ Und so geht das den ganzen frühen Morgen und ich wundere mich immer wieder, dass Glatze noch keine aufs Maul bekommen hat.

Und weil man alte Damen nicht schlagen darf, kommen auch die drei Wasserwanderinnen immer noch fast jeden Morgen ins Hallenbad. Die Damen, alle zwischen 60 und 70 Jahre jung, zusammen schätzungsweise 300 Kilogramm leicht, kommen jedoch nicht wegen des Schwimmens. Ja nicht einmal zum Rückwärtspaddeln. Diese drei kommen um zu schwatzen und zu tratschen. Zuvor haben sie sich aber noch mal richtig schön einparfümiert. Und so wandeln sie auf Zick-Zack-Pfaden (oben in Pink dargestellt) durchs Schwimmbecken. Aber nur jeweils auf den ersten 20 Metern, dort, wo sie noch stehenden Fußes den Kopf über Wasser halten können. Ich bewundere die Damen immer wieder für ihre stoische Ruhe beim Wasserwandeln. Müssen sie sich doch dessen bewusst sein, dass sie jeden, aber auch jeden Schwimmer im Wege stehen. Außerdem bewundere ich alle Schwimmer, die ohne Brechreize an den Damen vorbeikommen. Denn die Mischung ihrer drei Parfüme, die sich verschmelzend übers Wasser kräuseln, ist nicht jeder Manns Sache.

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Der Pädophile, der Terrorist und das Parfümgeschwader

Ich habe es wieder getan. Obwohl ich es mir schon mehrfach vorgenommen hatte. Du gehst nie wieder an einem Samstagvormittag in diese Schwimmhalle. Denn zum Schwimmen ist Samstagvormittag nicht viel Platz dort. So als ganz normaler Schwimmer, der in Ruhe seine Bahnen schwimmen möchte, ist man Samstag fehl am Platze. Der Samstagvormittag gehört den Terroristen, Pädophilen und den Parfümgeschwadern.
Zuerst kommt der Geruch. Kurz überm Wasser wabert er durch die ganze Halle. Eigentlich erhascht man hier ab und an einen Duft nach Duschlotion oder Sonnencreme. Aber das hier ist kein Duft mehr. Das ist eine Mischung aus Russki-Chanel und Pferdemist. Nicht die Nase wird gekitzelt, sondern der Geruch dringt bis tief in den Magen, leicht beginnender Brechreiz ist die Folge. Mich wundert es wirklich, dass hier noch keiner ins Becken gekotzt hat.
Ursprung dieser Puff-Stall-Mischung ist das, von mir so getaufte, Parfümgeschwader. Sechs Frauen um die 60, zusammen etwa eine Tonne schwer, bilden eine Kette und versuchen, während sie sich über Sonderangebote im Discounter unterhalten, sich irgendwie nebeneinander von der einen auf die andere Seite zu schieben. Mit Schwimmen hat das nichts zu tun. Eher mit Schwabbeln oder Wabbeln. Und weil Fett oben schwimmt, geht das auch ganz gut. Nur sehr, sehr langsam eben. Vier von sechs Bahnen sind somit blockiert.
Und, die Damen haben sich natürlich vorher so richtig eingedieselt. Jede ein anderes Parfüm, jedes schwerer als das andere. Zusammen ergibt sich dann dieser süßlich-eklige Geruch, der sich nun, da die Damen zwar ihre Köpfe, nicht aber ihre Hälse über Wasser halten können, über die gesamte Wasseroberfläche seine Opfer sucht.
Unbeeindruckt davon übt auf Bahn fünf ein Mann das „so lange wie möglich Luftanhalten“ unter Wasser. Er hat eine Taucherbrille auf, sieht aus wie eine Mischung aus Achmed und Osama. Dabei fuchtelt er mit den Händen an der Beckenwand herum. Dann taucht er wieder auf, nimmt die Brille ab, stiegt über den Beckenrand aus dem Wasser. Um eine Sekunde später wieder hineinzuspringen. Das Spiel beginnt von vorn. Achmed setzt sich die Taucherbrille auf und geht unter Wasser. Wieder fuchtelt er mit den Händen, diesmal am Beckenboden, herum. Es sieht wirklich so aus, als übe irgendetwas unter Wasser. Vielleicht das Anbringen von Sprengstoff?
Nun, nach drei dergleichen Übungen, schwimmt Achmed los. Schwimmen ist allerdings etwas anderes. Achmed lässt die Beine nach unten hängen und rudert mit den Armen wild durchs Wasser. Was soll das? Nach kurzer Überlegung komme ich drauf. Natürlich: Achmed übt das Schwimmen ohne Beine. Warum? Er übt das für den Ernstfall. Wenn die Bombe zu früh hochging und er nun keine Beine mehr hat. Bahn fünf ist also auch blockiert.
Bleibt Bahn sechs. Doch auf Bahn sechs kann man eben leider nicht bis zum Ende schwimmen. Denn dort steht der, der immer dort steht. Der Mann, den ich noch nie schwimmen gesehen habe. Er steht immer nur in der Beckenecke. Mitte 40 vielleicht, dünn wie ´n Besenstiel. Er steht dort die meiste Zeit mit dem Rücken zum Becken mit Blick aufs Nichtschwimmerbecken. Er schaut nur dorthin, wo die kleinen Jungs planschen. Dass der hier überhaupt noch reingelassen wird, wundert mich von mal zu mal mehr. Mit seinem lichten Haarkranz um die beginnende Glatz erinnert er mich manchmal an einen Pfarrer aus irgendeinem Film. Pfarrer? Na klar! Es ist einer von diesen Lehrern. Ein Lehrer, der mit seinen kleinen Jesuitenschülern hier ist. Jetzt wird mir so einiges klar. Vor allem, dass ich nächstes Wochenende in eine andere Schwimmhalle gehen werde. Da treffe ich wenigstens alte Bekannte, mit denen ich gern auf einer Bahn schwimme.

Dit is mein Spind

Nach etlichen frühmorgendlichen Bahnen in meiner Schwimmhalle wollte ich dieser Tage mal ein anderes Bad ausprobieren. Jenes liegt näher an meinem Arbeitsweg, so dass ich morgens Umweg und Zeit sparen könnte, dachte ich mir. Es ist genauso groß (50-Meter-Bahnen), genauso warm (28 Luft, 27 Wasser) und die Vor-acht-und-nach-zwanzig-Uhr-Dauerkarte gilt da auch.

Es öffnet ebenso um 6.30 Uhr und zu dieser Zeit war ich auch da. Nichts wie rein, schnell umziehen und unter die Dusche. Doch als ich gerade meine Straßenschuhe (die man dort im Gegensatz zum anderen Bad bereits an der Eingangstür gegen die Badelatschen tauschen muss) in den Spind gestellt hatte, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Neben mir standen auf einmal drei Herren älteren Jahrgangs und sahen mich entsetzt an.

Ein Opa lief sogar recht rot an unter seiner Brille und auch darüber. Er holte mehrmals tief Luft und sprach in meine Richtung: „Ja jibts denn sowas? Dit ist mein Spind. Seit Jahren schon is Spind Null Zwo Acht meiner!“ Ja, ja, sagte ich und flüchtete halb ausgezogen mit Sporttasche und Schuhen in der einen sowie mit Ein-Euro-Spind-Münze und Badehose in der anderen Hand in den nächsten Spind-Umzieh-Gang. Hoffend, einen nicht reservierten Spind zu finden.

Ich fand ihn. Und während ich mich in Spind Eins Vier Sieben häuslich einrichtete, hörte ich auf einmal wieder Opa. Dieser rief mit krächzender Stimme über die Spindreihe hinweg: „Und Bahn zwo, Bahn zwo is ooch meine. Die Bahnen hier sind nämlich alle uffjeteilt.“ Okay, dachte ich, das fängt so richtig gut an hier, hier sind die Balina unta sich, da haste nüscht verlorn. Als Ex-Thüringer. Aber ich schwamm trotzdem noch meine zwanzig Bahnen (natürlich nicht auf der Zwo) und kam unbehelligt wieder hinaus.

Einen Tag später ein zweiter Versuch. Denn die Ersparnis von Umweg und Zeit war doch beträchtlich. Ich kam gerade auf meinen Badelatschen in die Umkleide, da hörte ich Opa schon von Weitem: „Stellt euch vor, jestern hatte eena seine Schuhe in mein Spind jestellt. Dem ha ick´s aba jejebn, wa Justav? Der kommt bestimmt nich so schnell wieda.“ Mit einem lautem „Guten Morgen, da bin ich doch wieder“, schlenderte ich um die Ecke und zog mich an einem (scheinbar nicht reservierten) Spind eine Reihe weiter um, schwamm wieder meine Bahnen, ohne weitere Wortlaute aus der Senioren-Fraktion.

Nun habe ich mich trotz Umweg und mehr Zeitaufwand doch wieder für meine alte Schwimmhalle entschieden. Die ist sowieso schöner und da ist es auch viel leerer. Bahn zwo ist frei und Irmgard und Trudchen sind ebenso da. Alle grüßen freundlich, jeden Morgen. Aber wehe, wehe es stehen Schuhe in meinem Spind Eins Sechs Zwo! Oder war es die Zwo Sechs Eins?