Herbstfoto im Winter

herbst_im_tiergarten_01Eines Morgens auf dem Rad-Weg zur Arbeit hatte ich im Tiergarten diesen Blick, den ich unbedingt festhalten musste. Es war noch im Herbst, hab´s aber erst jetzt beim „Speicherkarte-Leeren“ entdeckt. Es ist ein Blick in die Große Sternallee vom Großen Stern aus aufgenommen.

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Abnehmen mit Sarrazin

„War ick doch letzen Dienstag bei die Vabrauchazentrale beim Abnehmkurs“, sagt Herbert zu Trudchen und Irmgard. „Abnehmen? Beim Verstand oder wat“, antwortet Trudchen während sie sich weiter mit ihrer Schwimmbadgymnastik (Unterwasser-Beine-Treten) beschäftigt. „Na dit och. Aba ma im Ernst. Da jehsde zu so nem Abnehmkursus und wat siehste als erstet? Ne Dicke Kursusleiterin. Mann, die hat wenichstens hundat Kilo uff de Waaje jebracht. Da musst ick mir janz scheen zusammenreißen.“

Dienstagfrüh um 7 Uhr im Stadtbad Tiergarten. Wie immer um diese Zeit haben sich die örtlichen Rentner, Senioren sowie jede Menge junger Menschen zum morgendlichen Frühschwimmen versammelt. Für 2.50 Euro ist es um diese Zeit „einsfuffzich“ billiger als nach acht Uhr. Dementsprechend voll ist es im Bad. Auf den hinteren Bahnen machen sich die Sportschwimmer Konkurrenz. Einer schlägt den anderen und die Frauen sind noch schneller. Schlechte Zeiten für Otto-Normal-Schwimmer. Die ersten drei Bahnen voller Möchtegern-Profis, die anderen Bahnen versperrt von Seniorengruppen, die sich langsam aber sicher von einem zum anderen Ende bewegen, meistens schräg, immer aber sich dabei unterhaltend. Da gehören die drei vom Moabiter Kaffeekränzchen noch zu den harmlosen Blockierern.

Sie stehen meist in „ihrer“ Ecke und klatschen und tratschen. Wie auch heute wieder. Herbert, für seine offene Berliner Schnauze sowie für seine superengen Tanga-Leoparden-Badehosen im ganzen Schwimmbad (und in Moabit) bekannt, erzählt weiter vom Abnehmkurs in der Verbraucherzentrale. „War janz scheen schwer, der Dicken nich ins Jesicht zu sagen, dat sie janz scheen schwer für n Abnehmkurs ist. Aba ick hab janz ruhich imma bis drei jezählt und dann jings.“  „Und, wie viel mal haste bis dreie jezählt?“, fragt Irmgard, die sich ihrerseits nun der Gymnastik von Trudchen angeschlossen hat, immer darauf achtend, dass ihr die Lesebrille nicht von der Nase rutscht und ihre Haare nicht nass werden. „Na imma, wenn die Dicke anfing, von Sport zu erzählen, und Diät und so. Die weeß vielleicht, wie Sport jeschriem wird. Aba wie´s funktioniert, weeß die jarantiert nich. Ick sach nur eins, zwei drei. Imma wieda eins, zwei drei.“

„Na Herbert, warum jehsde och zu nem Abnehmkurs? Haste doch jar nich nötich. Oda willste uns etwa untreu werden?“ Irmgard prüft den Sitz ihrer Frisur sowie ihres mit goldenen Ranken verzierten Badeanzuges. Ihre Blümchen-Badekappe hat sie heute wohl nicht dabei. Sicher steht Schwimmen heute nicht auf der Frühtagesordnung. Gymnastik geht auch ohne Kappe. „Nee, nee. Ick wollte eijentlich in die Vabrauchazentrale wejen die Rentensteuer. Aba da ham so viele jewartet. Und beim Abnehmkurs im Nachbarzimma warn noch freie Plätze. Da dacht ick mir, bevor Du jetze zwee Stunden im Wartezimma vabringst, kannste och im Abnehmkursus warten.“

„Typisch Herbert“, stellt Trudchen fest. „Imma uff alle Hochzeiten tanzen. Aba ick wunda mir, dass Du der Dicken nich die Meinung jesacht hast. Ditte is nich typisch für uns Herbert.“ „Naja, ick hab mir och jewundat hintaher. Aba in dem Fall wars vielleicht bessa so. Anders is dit bei die Meinung an sich“, sagt Herbert. „Wie jetze, bei die Meinung an sich?“ „Na letztens beim Stammtisch in der Jelben Quelle.  Da jings wieda mal um die Auslända und so. Alle ham jesacht, dat der Sarrazin Recht hat, mit seine Meinung. Und denn is n Reporta von die Zeitung gekommen und wollte dit uffschreiben. Da warnse uff eenmal alle jejen Sarrazin. Dit is doch zum kotzen, oda?“

Herbert klatscht dabei mit seinen Händen aufs Wasser, um seine Meinung zu unterstreichen. Was zu nicht wenigen nassen Spritzern auf den frisch gestylten Köpfen seiner Freundinnen sorgt. „Na nun übatreib ma nich, Herbert. Musst uns nich hier nass machen, nur weil se nich alle so ne große Schnauze ham wie Du.“ Damit ist das Thema beendet.  Herbert macht sich für eine Runde Schwimmen bereit, die Damen zieht es in Richtung Ausgang, um ihre benetzten Haare zu trocknen. Als beide aus dem Becken steigen, sagt Irmgard zu Trudchen: „Also Abnehm muss Herbert nun wirklich nich. Aba der Sarrazin, der könnte mal n bissel abspecken.“ „Aba den kennste doch jar nich“, antwortet Irmgard auf dem Weg in zu den Damenduschen. „Und außadem ist der schlank. Der muss nun wirklich nich abnehmen.“ „Na ick meinte ja nich körpalich“, sagt Trudchen. „Eher so beim Verstand. Wat der so allet von sich jibt. Da könnter wirklich mal wat von weglassen.“

Leonardo, Hitler und Unterwasser-Kniebeugen

„Ick habe ihn jesehen. Stand direkt neben mir. Jestan inne Konditorei“, sagt Trudchen zur Begrüßung ihrer Senioren-Klatschrunde morgens kurz nach sieben im Hallenschwimmbad (Luft 28, Wasser 26 Grad).  Irmgard und Herbert hatten schon eine Bahn hinter sich, natürlich nicht schwimmend, sondern wie immer schwimm-laufend, weil man da besser klatschen kann. „Wen haste jesehn, jestan inne Konditorei“, fragt Irmgard. Trudchen prüft den Sitz vom Dutt, taucht kurz bis zum Hals ins Wasser, schaut triumphierend in die Runde und antwortet: „Na IHN. Der ausm Film, der inne Zeitung war jestan. Ick kann mir bloß nich erinnan, wie sein Name ist.“

„Etwas jenauer jehts nich, wa?“, sagt Herbert macht dabei unbeeindruckt mit seinen Unterwasser-Kniebeugen weiter. Wie immer sitzt seine Leopardenlook-Badehose perfekt, hochgezogen bis über den Bauchnabel. Um Hals und Handgelenk glitzern passend dazu seine güldenen Panzerketten. „Immahin ham wer grad die Balinale, da jibts doch berühmte Männekieken ausm Film wie Sand am Meer. Da musste Dir schon etwas jenaua ausdrücken.“ „Na den aus dem Film, mit den Untajang, ihr wisst schon“, erläutert Trudchen. Irmgard lächelt nun wissend: „Bruno Janz, meinste Bruno Janz, ausm Hitla-Film Untajang?“ Trudchen entgeistert:  „Hitla, wat heest hier Hitla. Nee, den mein ick nich. Aba wenn ick mir dit recht übaleje, Hitla könnte zu diesa Zeit och jelebt haben.“

„Na wat denn nu. Hitla oder nich Hitla?“ Herbert will es nun wissen. „Nee, mit Hitla hat der nüscht zu tun. Aba der Film, wo der, den ick jesehn hab, mitspielt, spielt inna Zeit, in der Hitla och jelebt hat. Aba ick meine nich Hitla und sin Untajang. Ick meine den Film mit die Katastrophe“, erläutert nun Trudchen während sie sich den Unterwasser-Kniebeugen Herberts anschließt. Dabei immer darauf achtend, dass ihre Badeanzugs-Träger nicht verrutschen. Denn die verdecken, zumindest teilweise, die Träger vom Büstenhalter, den sie wie immer drunter trägt. „Katastrophe?“, fragt Herbert. „Katastrophen-Filme jibts viele.“  „Na, aba nich viele mit dem, den ick jesehn habe“, sagt Trudchen. Auch Irmgard unterbicht kurz ihre Unterwasser-Aerobic:  „Meinste jetze den Film oda den Schauspieler, den de jesejen hast?“

„Sacht ma, wollter mir vaäppeln? Ick meine natürlich den Film, den ick jesehn habe. Wo der mitspielt, den ick meine und der jestan inne Kondotorei war. Na der, na der, ick werd noch irre, na der mit dem Weibsbild uff dem Dampfer. Der dann unterjejang ist.“ Irmgard und Herbert unterbrechen gleichzeitig ihre Unterwasser-Kniebeugen. Herbert zieht nochmal seinen Leoparden in die richtige Position und meint: „Na, sachs doch gleich. Titanic, der Unterjang der Titanic. Dit is der Film, den Du meinst.“ Trudchen nickt. „Na, und wie heeßt nun der Star, der vorn uff den Sejelstange mit dem Weibsbild jestanden hat?“ „Na dit is Leonardo DiCaprio“, sagt Irmgard sicher. Worauf Trudchen einen Moment lang überlegt, dann den rechten Zeigefinger an die Stirn hebt: „Hör ma, Leonardo, dit kann nich sinn. Den kenn ick doch. Den hätt ick doch erkannt, wenna inne Konditorei jewesen wär.“

“Ja, wat, wie…” Den Rest höre ich nicht mehr, denn ich habe ja noch zehn Bahnen vor mir. Und die Zeit ist knapp. Schließlich muss auch ich um acht draußen sein.

Der Pädophile, der Terrorist und das Parfümgeschwader

Ich habe es wieder getan. Obwohl ich es mir schon mehrfach vorgenommen hatte. Du gehst nie wieder an einem Samstagvormittag in diese Schwimmhalle. Denn zum Schwimmen ist Samstagvormittag nicht viel Platz dort. So als ganz normaler Schwimmer, der in Ruhe seine Bahnen schwimmen möchte, ist man Samstag fehl am Platze. Der Samstagvormittag gehört den Terroristen, Pädophilen und den Parfümgeschwadern.
Zuerst kommt der Geruch. Kurz überm Wasser wabert er durch die ganze Halle. Eigentlich erhascht man hier ab und an einen Duft nach Duschlotion oder Sonnencreme. Aber das hier ist kein Duft mehr. Das ist eine Mischung aus Russki-Chanel und Pferdemist. Nicht die Nase wird gekitzelt, sondern der Geruch dringt bis tief in den Magen, leicht beginnender Brechreiz ist die Folge. Mich wundert es wirklich, dass hier noch keiner ins Becken gekotzt hat.
Ursprung dieser Puff-Stall-Mischung ist das, von mir so getaufte, Parfümgeschwader. Sechs Frauen um die 60, zusammen etwa eine Tonne schwer, bilden eine Kette und versuchen, während sie sich über Sonderangebote im Discounter unterhalten, sich irgendwie nebeneinander von der einen auf die andere Seite zu schieben. Mit Schwimmen hat das nichts zu tun. Eher mit Schwabbeln oder Wabbeln. Und weil Fett oben schwimmt, geht das auch ganz gut. Nur sehr, sehr langsam eben. Vier von sechs Bahnen sind somit blockiert.
Und, die Damen haben sich natürlich vorher so richtig eingedieselt. Jede ein anderes Parfüm, jedes schwerer als das andere. Zusammen ergibt sich dann dieser süßlich-eklige Geruch, der sich nun, da die Damen zwar ihre Köpfe, nicht aber ihre Hälse über Wasser halten können, über die gesamte Wasseroberfläche seine Opfer sucht.
Unbeeindruckt davon übt auf Bahn fünf ein Mann das „so lange wie möglich Luftanhalten“ unter Wasser. Er hat eine Taucherbrille auf, sieht aus wie eine Mischung aus Achmed und Osama. Dabei fuchtelt er mit den Händen an der Beckenwand herum. Dann taucht er wieder auf, nimmt die Brille ab, stiegt über den Beckenrand aus dem Wasser. Um eine Sekunde später wieder hineinzuspringen. Das Spiel beginnt von vorn. Achmed setzt sich die Taucherbrille auf und geht unter Wasser. Wieder fuchtelt er mit den Händen, diesmal am Beckenboden, herum. Es sieht wirklich so aus, als übe irgendetwas unter Wasser. Vielleicht das Anbringen von Sprengstoff?
Nun, nach drei dergleichen Übungen, schwimmt Achmed los. Schwimmen ist allerdings etwas anderes. Achmed lässt die Beine nach unten hängen und rudert mit den Armen wild durchs Wasser. Was soll das? Nach kurzer Überlegung komme ich drauf. Natürlich: Achmed übt das Schwimmen ohne Beine. Warum? Er übt das für den Ernstfall. Wenn die Bombe zu früh hochging und er nun keine Beine mehr hat. Bahn fünf ist also auch blockiert.
Bleibt Bahn sechs. Doch auf Bahn sechs kann man eben leider nicht bis zum Ende schwimmen. Denn dort steht der, der immer dort steht. Der Mann, den ich noch nie schwimmen gesehen habe. Er steht immer nur in der Beckenecke. Mitte 40 vielleicht, dünn wie ´n Besenstiel. Er steht dort die meiste Zeit mit dem Rücken zum Becken mit Blick aufs Nichtschwimmerbecken. Er schaut nur dorthin, wo die kleinen Jungs planschen. Dass der hier überhaupt noch reingelassen wird, wundert mich von mal zu mal mehr. Mit seinem lichten Haarkranz um die beginnende Glatz erinnert er mich manchmal an einen Pfarrer aus irgendeinem Film. Pfarrer? Na klar! Es ist einer von diesen Lehrern. Ein Lehrer, der mit seinen kleinen Jesuitenschülern hier ist. Jetzt wird mir so einiges klar. Vor allem, dass ich nächstes Wochenende in eine andere Schwimmhalle gehen werde. Da treffe ich wenigstens alte Bekannte, mit denen ich gern auf einer Bahn schwimme.