Echt bekloppt. Ich kauf nur Bio

echt_bio_01Ein Bioladen in Pankow. Heute kurz vor Mittag. Vier KundInnen im Geschäft. Zwei VerkäuferInnen. Eine Kundin, etwa Anfang/Mitte 30, scheinbar die Mutter der Zwillinge im Kinderwagen vor der Tür, steht mit ihrem Einkaufskorb am Verkaufstresen und packt ihre Ware zum Wiegen/Einscannen aus. Es handelt sich um fünf Äpfel, zwei Gläser Joghurt a 500 ml, eine Käsecreme im Becher, eine Flasche Rotwein und eine Packung Vollkornspaghetti. Alles Bio. Versteht sich. Das war´s für heute? Fragt die Verkäuferin. Ja. Antwortet die Kundin. Erst einmal nur das Nötigste. Für den anderen Einkauf komm ich dann nochmal. Mit dem Auto. Macht dann Siebzehnfünfundvierzig.

Ein Zwanzigeuroschein geht über den Tresen während Mutti die Sachen in eine Tasche packt und die anderen Kunden im Laden mit einem bedeutungsvollen Rundblick begutachtet. Ja. Sagt sie. Ich kauf nur Bio. Immer! Stimmt´s? Sagt sie und schaut die Verkäuferin an, während jene ihr das Wechselgeld in die Hand drückt. Aber sicher, einen schönen Tag noch. Sagt die Verkäuferin. Mutti geht hinaus, packt die Tasche in den Korb des Zwillingskinderwagens und entschwindet den Blicken der Zurückgebliebenen. Nun kann auch ich meine Eier und mein Hafer Krunchy Pur bezahlen.

Eine Viertelstunde später im Discounter 150 Meter weiter. Ich warte, dass ich endlich meine Ware aufs Kassenlaufband packen kann. Denn das ist voll mit dem Einkauf der Dame vor mir. Ich achte nicht weiter darauf. Erst als sie bezahlt – dreiundsechzig Euro und siebzig Cent – schaue ich auf. Die Frau schiebt einen Zwillingskinderwagen vor sich her, in dessen Korb eine Tasche mit ein paar Bio-Artikeln liegt. Es ist die Ich-kauf-nur-Bio-Mutti von eben. Sie ist dabei, einen Wochenend-Familien-Nichtbio-Einkauf in den Kinderwagen und zusätzlich noch in drei soeben erworbene Plastiktüten zu packen.

Vor dem Discounter beobachte ich noch, wie sie den Einkauf und am Ende die Kinder samt Wagen in einen fetten SUV lädt. Am Heck prangt neben einem Nichtberliner Kennzeichen über vier Auspuffrohren: Echt Bio. Echt bekloppt würde wohl besser passen.

Das. Letzte. Mal.

Ein Supermarkt in Pankow an einem Mittwochvormittag im November. Ich brauch noch ein paar Zutaten fürs Mittagessen und für das Abendbrot. Spaghetti, frischen Knoblauch, Weintrauben, Joghurt pur, Salat, Hühnchenbrust. Viel Zeit habe ich nicht, da ich am Nachmittag noch einen Termin habe. Glücklicherweise ist es nicht voll, ich bin Nummer fünf in der Schlange. Alle anderen vor mir haben jeweils nur wenige Artikel aufs Band gelegt. Sollte also schnell erledigt sein.

Die Nähe zum Prenzlauer Berg macht sich hier inzwischen nicht mehr nur durch die Tatsache der geografischen Nähe bemerkbar, sondern auch am steigenden Vorkommen Klischee behafteter Muttis. Um die 30, immer wichtig, Strickrock-Über-Jeans, Jacke vom Designer (oder aus dem Second Hand oder aus der Altkleiderbox – genau kann man das nie sagen oder wissen), Brille mit buntem Gestell und – natürlich – Kinderwagen mit Kind. Xplory Buggy heißen diese Dinger, hab ich herausbekommen.

Sie also ist auch im Supermarkt, ich hatte sie gerade schon am Gesmüsestand gesehen, als sie verschiedene Sorten Weintrauben verkostet und diverse Mangos mit ihrem Daumen eingedrückt hatte. Schon mein erster Grund für ein kleine Packung Hass – Weintrauben kommen heute also nicht auf den Speiseplan. Schließlich hat sie fast in jede Kiste gegrapscht. Weiß ich, wo sie vorher mit ihren Fingern war? Windeln gewechselt? Aber gut, dann eben ohne Trauben.

Nun stehe ich also an der Kasse, als sie auf einmal neben mir steht. Sie versucht, Xplory zwischen der Frau vor mir und mich zu schieben. Wobei sie mit einem Kopfnicken auf die beiden Artikel zeigt, die sie in der einen Hand hält: Eine eckige Tüte laktosefreie Milch und eine runde Packung Mix-Dir-Dein-Bio-Müsli-Selbst. Darf ich? Fragt sie, als ich eigentlich schon keine Chance mehr für Gegenwehr habe, da ich dem Schutz meiner Füße wegen schon vor Xplory etwas zurückgewichen bin.

Ja Bitte. Sage ich. Zwei Artikel. Denke ich. Dachte ich. Als Xplory-Müsli-Mutti auf der Höhe des Artikel-Transport-Bandes ankommt, kommt aus einer Tasche an ihrem Xplory doch noch der eine oder andere Artikel zum Vorschein: Weintrauben, Mangos, Möhren, weitere Packungen Milch, weitere Packungen BioMüsli zum selbst auskotzen und alles andere, was man so für eine Familie in der Woche kauft. Ich bin kurz sprachlos, bekomme dann ein Ähm heraus, worauf sie mich anschaut und genervt Was denn? sagt. Unglaublich. Was soll ich tun? Prügel wären jetzt angebracht. Ich tu es nicht. Weiß aber genau: Das. War. Das. Letzte. Mal. Nie. Wieder. Lass. Ich. Eine. Kinderwagen. Mutti. Vor. Nie. Nie. Wieder.